SPIELEN WIR DAS LIED
OMI IN HALL(E/N)
OMI (eine rolle für butoh-tänzer o.ä,)
PFLEGERIN
NEUER PFLEGER
SOHN
DR. PIET WABSTER
DAS ALTERSHEIM / DAS SENIORENINNENHEIM / DAS HEIM. DIE AUSSTATTUNG EINE MISCHUNG AUS KRANKENHAUS, JUGENDHEIM UND KINDERGARTEN
1. BILD IM AUFENTHALTSRAUM
OMI IM ROLLSTUHL. SIE KANN NICHT MEHR GEHEN. SIE KANN NICHT MEHR SPRECHEN
PFLEGERIN
wechselst du sie?
NEUER PFLEGER
keine zeit. muss zur müllerin. katheder.
PFLEGERIN
kannst du das?
NEUER PFLEGER
soll ich dafür den doktor machen?
PFLEGERIN ZU OMI GEWANDT
dann machen wir beide das, gell? da brauchen wir kein mannsbild
AUS DEM OFF
mannsbilder, mannsbilder. sie ziehen in, sie kommen aus dem krieg, aus dem krieg. sie haben die kraft der kriege, sie brauchen jetzt uns, wir helfen ihnen, wir heilen sie. es wird alles gut werden. mannsbilder, dass wir nicht lachen. als rotzlöffel in den krieg gezogen und zurückgekommen als tote oder alt oder gar nicht.
AUF EINER LEINWAND ODER EINEM ODER MEHREREN SCREENS ODER SONSTWAS SIND DAZU BILDFETZEN ZU SEHEN, SPLITTER
PFLEGERIN
gib mir deine hand. so ists gut. ja, leg sie an meinen hals. und jetzt die andere. ja, so ists gut. und jetzt: eins, zwei, drei und die beine durchdrücken, fester, fester. nein, das geht heute nicht so gut, gell? probieren wir es noch einmal. eins, zwei, drei und die beine. ja, so ist recht. und stehen bleiben.
DIE PFLEGERIN WECHSELT OMIS WINDELN. OMI FÄLLT WIEDER ZURÜCK IN DEN ROLLSTUHL
AUS DEM OFF
und dein wird sein das himmelreich und alle teufel der erde und des fegefeuers. dein wird mein herz und meine seele. und vergib uns unsere sünden und erlöse uns von dem übel. und herr, nur dein will ich sein. und nur dein auf erden jederzeit. und lass mich nicht alleine in dem jammertale.
AUF EINER LEINWAND ODER EINEM ODER MEHREREN SCREENS ODER SONSTWAS FOTOS, BILDSEQUENZEN VON HEIMEN, MÄDCHEN, BUBEN, KLÖSTER, PFAFFEN USW. KINDSMISSBRAUCH, SCHLANGEN
NEUER PFLEGER
und? geschafft? kannst du mir dann beim katheder helfen. ich hab das bei der müllerin doch vermasselt.
PFLEGERIN
männer! warum gehst du nicht fussballspielen? oder rauchen? was hat denn die müllerin in letzter zeit?
NEUER PFLEGER
die reißt sich den katheder immer selbst heraus. was soll man denn da machen? ich kann ihr doch nicht x-mal am tag den katheder anlegen. oder?
OMI
GESTIKULIERT UND GIBT UNVERSTÄNDLICHE LAUTE VON SICH. WIRKT AUFGEREGT, ETWAS AGRESSIV
PFLEGERIN
aber omi, ist ja schon gut. magst du was essen? oder trinken? da hast du deinen tee
FLÖSST MIT DEM TRINKNAPF ETWAS TEE IN OMIS MUND
und jetzt kommt bald deine marie, dann bist du wieder ruhig und alles wird gut und du brauchst keine angst zu haben. so, bleib jetzt brav, ja, und lass bitte meine hand aus.
ZUM PFLEGER GEWANDT
die hat eine kraft wie ein bär. unglaublich.
NEUER PFLEGER
ja, das zarte geschlecht. hab gehört, die kommt gerade aus der psych, stimmt das? und dass die völlig gesund eingeliefert worden ist. und jetzt als wrack zurückgeschickt worden ist, weißt du da was?
PFLEGERIN
sicher stimmt das. ist immer dasselbe. hier heißt es, wir haben die nicht mehr im griff, dann ordnet irgendwer an: zum einstellen in die psycho, und wenn die dann zurück kommen, dann schauen sie zu 90 pro so aus. und wir sollten dann … aber daran wirst du dich noch gewöhnen müssen. das ist härter, als katheder anschließen.
OMI
GESTIKULIERT UND GIBT UNVERSTÄNDLICHE LAUTE VON SICH. WIRKT AUFGEREGT, ETWAS AGRESSIV. DIE PFLEGERIN SCHIEBT OMI IM ROLLSTUHL AUS DER SZENE
2. BILD IM ZIMMER
OMI LIEGT IM BETT. RECHTS UND LINKS SIND DIE SICHERHEITSGITTER HOCHGEZOGEN. OMI FANTASIERT, AUF DEM GROSSEN SCREEN ERINNERUNGSFETZEN AUS IHREM LEBEN. MUSIK. AUCH NUR BRUCHSTÜCKE, OFT INEINANDER VERWOBEN, DANN WIEDER STILLE. BILD UND TON SPIELEN MITEINANDER. OMI IM BETT SCHEINT ZU BEGLEITEN, ZU DIRIGIEREN
SOHN
mensch mama, was machst du denn heute? bist ja ganz aufgebracht. gehts dir schon gut? ja, da ist meine hand. tu sie nur fest drücken. so ists gut. drück nur fest. siehst du, an kraft mangelt es dir nicht. hallo, pflegerin. hat mama heut einen schlechten tag? ja? weil, dann lass ich sie lieber wieder alleine, sonst regt sie sich noch mehr auf. ich komme dann nächste woche wieder, gell mama. und tu dich nur nicht so viel aufregen. hier hast du ja alles, was du brauchst. und wenn du einmal etwas besonders gerne möchtest, dann zeige mir, und ich bring es. gell, mama. also dann, bis nächste woche. ZUR PFLEGERIN GEWANDT: das wird ja immer schlechter. wie lange glauben sie, dass das noch so weiter geht?
PFLEGERIN
wer kann das schon wissen? aber machen sie sich keine sorgen. ihre mutter ist hier bei uns in guten händen, gell omi?
SOHN
ja schon, aber…
PFLEGERIN
kein aber. es gibt keine alternativen. seien sie froh, dass sie hier ist. dass sie schnell einen platz gefunden hat. ich kenn leute, die haben über ein jahr gewartet. und das war dann hart. für alle. ihre mutter hat es hier gut, gell omi!
SOHN
ja dann. ich hab eh kaum zeit. dann komm ich also nächste woche wieder. oder halt spätestens übernächste, falls mit den kindern…. sie wissen ja, wie das so ist. brav bleiben mama. lass es dir gut gehen. ich geh dann jetzt. und die kinder kommen das nächste mal dann auch wieder. so mama, lass meine hand jetzt aus. so ists gut. nein, nicht schon wieder zudrücken. jetzt lass mich los, mama. ich muss jetzt wirklich. also bitte, hör auf mit dem theater…
PFLEGERIN
gib mir deine hand. jetzt lass deinen sohn gehen, der muss ja arbeiten, geld verdienen, das verstehst du doch. der mensch lebt nicht vom brot alleine. LACHT. ZUM SOHN irgendwie so sagt man doch, oder? ich hab alles vergessen, aber einmal haben wir das in der schule durchgemacht. gell, omi? weißt du noch das sprüchl? ja, jetzt lacht sie, so, auslassen, brav. jetzt können sie…
SOHN VERSUCHT LOCKER WEGZUGEHEN, HAT IN SEINEN BEWEGUNGEN JEDOCH ETWAS LINKISCHES, FALSCHES
PFLEGERIN. SPRICHT MIT SICH
der ist auch mit allen wassern gewaschen. macht immer auf vornehm, auf fürsorglich. dabei sieht jeder diese zusammengekniffenen arschbacken, wenn er sich wieder hinausschleicht. typus erbschleicher. immer freundlich, immer höflich. schleicht aber um jedes problem herum, gibt immer jede kompetenz ab, das können sie viel besser als ich, da bin ich doch sehr ungeschickt dabei, dafür ist meine mutter ja hier. wenn der sagt, nächste woche, dann kannst du sicher sein, dass es zwei, drei wochen werden.
OMI
HÄLT SICH AN DEN SEITENGITTERN FEST UND VERSUCHT SICH AUFZURICHTEN. SIE SPRICHT UNVERSTÄNDLICHES, ABER IHRE STIMME KLINGT ENERGISCH BIS VERÄRGERT
PFLEGERIN
ja was ist denn heute los? da werden wir wohl doch noch eine tablette schlucken. dann gehts dir gleich besser, und du bist nicht mehr so nervös, gell. VERSUCHT, OMI EINE TABLETTE IN DEN MUND ZU SCHIEBEN. OMI SPUCKT SIE SOFORT AUS. ja hallo, du bist keine lama. na dann, eben als pulver. ZERDRÜCKT MIT EINEM MESSER EINE TABLETTE, VERMISCHT SIE MIT ETWAS WASSER, NIMMT DAS GEMISCH MIT EINER PIPETTE AUF, SCHIEBT SELBIGE IN OMIS MUND UND DRÜCKT AUF DEN GUMMIHALTER. OMI HUSTET, LÄSST SICH ZURÜCK IN IHR BETT FALLEN
3. BILD IM ZIMMER
OMI ALLEINE IM ZIMMER. IN IHREM BETT. VERWANDELT SICH IN EINE JUNGE FRAU. SCHMINKT SICH, KÄMMT SICH, ZIEHT SICH ETWAS AN. BETRACHTET SICH IM SPIEGEL
JUNGE OMI
wenn ich einmal alt bin … aber noch bin ich nicht alt. nur ein bisschen vielleicht. aber wenn, dann möchte ich alleine sein, niemandem zur last fallen. und kein altersheim, keine seniorenresidenz, kein all das verlogene zeug. wo sich die familien, oder einfach alle, die sollten, sich wegdrehen können und sagen: das ist doch gar nicht so schlecht. aber das ist ja noch weit weg. weit, weit weg.
MACHT DAS BETT. TRÄLLERT EINE BEKANNTE MELODIE. IST FRÖHLICH
heute seh ich ihn. heute treff ich ihn. heute ist vielleicht was besseres als das letzte mal. ich glaub, ich will jetzt nicht mehr lange. dieses hin und her. der da oder der da. so groß sind dann die unterschiede auch nicht. und der von heute ist schon recht ein netter. und mit beruf. und mit schon etwas geld. aber das ist ja nicht so wichtig. nur ein bisschen wichtig vielleicht. bisher wars entweder nett und ohne geld oder mit geld, aber eben … das leben, mein leben, das will ich so haben, wie ichs will. nicht die anderen, nicht die gesellschaft, nicht die eltern. nein, ich werde mich nur an mir selbst messen, ich bin mein eigener weg, und der wird ein spannender werden. SUCHT IM SCHRANK EIN KLEID AUS, HÄLT ES, VOR DEM SPIEGEL STEHEND, AN DEN KÖRPER. hübsch ist das, so kann ich mit ihm ausgehen, das bin ich, das gefällt mir. so muss ich gefallen, sonst passt er halt nicht zu meinem stoff. LACHT UND GEHT AUS DEM ZIMMER.
BEAMER ODER ANDERE MEDIEN ZEIGEN (OMI ALS) EIN KIND WÄHREND DES KRIEGS. AUDIOMATERIAL UNTERSTÜTZT DIE BILDER. KINDERSTIMMEN
OMI ZURÜCK IM ZIMMER. ANGEZOGEN. IST GLÜCKLICH
es ist was besonderes in der luft heute. es ist ein fliegen, ein schweben, ein rundum glücklich sein. die welt ist mir musik und ich singe mir mein leben in den leib hinein und aus dem bauch heraus. weg mit den schrecklichen bildern, weg mit der angst, weg mit der gewalt. frei sein will ich, frei und wild und mit dem lieben gott per du. hallo, lieber gott. ich weiß, dass du mir nicht gram sein wirst. ich weiß, du freust dich mit mir. diese welt hier werden wir zu einer schönen machen, und wenn wir dann alle glücklich sind, wird’s auch dir wieder besser gehen. wie freu ich mich auf diesen tag. wir werden tanzen und singen und uns vergessen, auf dass wir uns ganz neu wieder finden können
VON DRAUSSEN WIRD GERUFEN
besuch für dich. kommst du?
JUNGE OMI
bin gleich da, einen kleinen moment noch!
VOR DEM SPIEGEL NOCH EINE SCHNELLE KONTROLLE, DANN ABGANG
4. BILD AUF DER PSYCHIATRIE
OMI MIT STOCK STEHT IM RAUM, WIRKT VERWIRRT. DR. PIET WABSTER, ORDINARIUS. LIEST, LAUT
geboren 1930, demenz bei alzheimer-krankheit, mit spätem beginn (typ 1), akute harnwegsinfektion usw, kognitive leistung reduziert, risperdal, cymbalta, temesta, memantin MURMELT DIE MEDIKAMENTENLISTE WEITER, DANN depressiv, weinerlich, paranoide reaktionsbereitschaft, verdacht auf exikkose, akute selbstgefährdung MURMELT SICH WEITER DURCH DEN BEFUND, DANN ZU OMI GEWANDT das kriegen wir schon wieder hin, gell? jetzt legen sie sich hin, dann kommt die schwester und in ein paar tagen ist alles in ordnung. schwester! die dame da, auf 19. und dann das übliche.
LICHT AUS. BETT WIRD IN DEN RAUM GESCHOBEN. OMI IM ZUSTAND VON BILD 1. GESTIKULIEREND UND UNVERSTÄNDLICHES VON SICH GEBEND. DR. PIET WABSTER SPRICHT INS DIKTAFON
die patientin wurde wegen eines depressiv-agitierten zustandes und paranoider reaktionsbereitschaft, sowie insomnie im rahmen einer vorgenannten alzheimer-krankheit zur evaluierung und optimierung der laufenden psychopharmakologischen medikation an unserer geronto-psychiatrischen station stationär aufgenommen punkt zum aufnahmezeitpunkt präsentierte sich die patientin auch exsikkiert punkt aufgrund erheblicher sturz- und verletzungsgefahr wurde die patientin fachärztlicherseits nach dem unterbringungsgesetz untergebracht, um entsprechende materielle sicherungen klammer auf bleigitter und bauchgurt sowie vorstelltisch und sitzkeil klammer zu durchführen zu können punkt die unterbringung wurde durch den ubg-richter bestätigt und erst mit dem tag der entlassung fachärztlicherseits wieder aufgehoben punkt neumedikation siehe beiblatt punkt vermutlich infolge des akuten harnwegsinfekts entwickelte die patientin eine miktionsstörung komma weshalb ab 8.5. die harndauerkathederanlage erfolgte punkt diese entfernte sich die patientin am 11.5. selbständig und wurde am selben tag neu gelegt punkt die patientin wurde über den gesamten aufenthalt physio- und ergotherapeutisch betreut punkt zu beginn der 3. behandlungswoche drängten die kinder der patientin wiederholt auf sofortige entlassung ihrer mutter punkt aus diesem grund wurde diese noch vor dem wochenende wieder entlassen punkt unter der laufenden psychopharmakologischen medikation empfehlen wir fachärztliche kontrollen punkt mit kollegialen grüßen dr. wabster. WIRKT GEREIZT jeder darf uns ins handwerk pfuschen. wie beim fußball: mit einer bierflasche an den lippen ist jeder sein eigener nationaltrainer. schwester! die da ist bereit für entlassung. tippen sie den bericht auf, ich unterschreibe dann.
5. BILD IM ZIMMER
OMI IM ROLLSTUHL. MIT SOHN. ÜBER BEAMER ERINNERUNGSBRUCHSTÜCKE VON DER JUNGEN OMI. AUS DEM OFF LÄRM: WORTE, MUSIK, GESANG. DER SOHN KÄMPFT MIT LAUTER STIMME GEGEN DIESE GERÄUSCHE, BAHNT SICH SOZUSAGEN MIT SEINER STIMME EINEN WEG ZU OMIS OHR
SOHN
hörst du mich, mama? verstehst du mich? mama, schau mich an. ich bins, dein sohn. mama, bitte. gehts dir gut? alles in ordnung? mama, komm, fahren wir ein bisschen hin und her. OMI VERSUCHT AUFZUSTEHEN. bitte, mama. bleib sitzen, ich kann dich nicht tragen, wenn du hinfällst und womöglich brichst du dir noch was. schwester, schwester, bitte helfen sie uns!
SCHWESTER KOMMT, FIXIERT DEN SICHERHEITSGURT AM ROLLLSTUHL. sie müssen immer den gurt geschlossen halten, wenn ihre mutter im rollstuhl ist. einen sturz würde sie in diesem zustand wohl nicht überleben. am besten ist es , wenn sie immer jemanden von uns rufen.wir machen das gerne. es ist unser job und eigentlich dürften sie ja gar nicht selbst… aber das ist ein ganz anderes problem. also: immer aufpassen, immer langsam. hier versäumt niemand etwas. LACHT, GEHT AUS DEM BILD
SOHN. SCHIEBT MIT EINER HAND DEN ROLLSTUHL, MIT DER ANDEREN DRÜCKT ER UMSTÄNDLICH AM HANDY HERUM
banktermin vergessen. das auch noch. aber ich kann doch nicht an alles denken. seit der scheidung war sie kein einziges mal mehr hier. dabei hat mama sie immer gemocht. ist deine mutter. ich hab meine eigenen baustellen. schlampe. und ich weiß bald nicht mehr, wo mir der kopf steht. BLEIBT STEHEN, SCHREIBT EINE SMS. so, mama, entschuldige, aber die arbeit verfolgt mich bis hierher. es ist immer dasselbe. alle wollen etwas. und ich soll das dann für alle machen. am besten vorgestern. aber das kennst du ja, mama. warst ja auch immer im stress, gell? mama, hörst du mich? jetzt komm, ein kleines lächeln könntest du mir schon schenken. nicht? na dann, vielleicht nächstes mal. ich denke nächste woche, oder wenns gar nicht geht dann halt übernächste. versprochen.
SOHN KÜSST FLÜCHTIG OMI UND BEGIBT SICH SCHNELL AUS DEM ZIMMER: IN DER TÜR STÖSST ER FAST MIT DEM NEUEN PFLEGER ZUSAMMEN.
NEUER PFLEGER
wiedersehen! und weg ist er. der hats aber eilig. und lässt seine eigene mutter alleine im rollstuhl. und wenn dann was passiert, dann bin ich. es bin immer ich. egal was passiert. weil wenn etwas gutes, schönes passiert, sagt man ja nicht: es ist etwas passiert. da sagt man dann ja …, …, eben etwas anderes. aber wenn man sagt: es ist was passiert! dann immer ich. gell, omi. so ists halt im leben. die einen so, die anderen so. wir zwei eher so. jetzt, wo dein bub fort ist, gehen wir ein bisschen zu den anderen, damit du nicht so alleine bist. SCHIEBT OMI IM ROLLSTUHL AUS DEM BILD.
6. BILD IM AUFENTHALTSRAUM
AUF ROLLSTÜHLEN, LIEGEN, AN EINEM KLEINEN TISCH SIND SCHAUFENSTERPUPPEN. AUF DEM SCREEN EIN F1 RENNEN. LÄRM. VOM RENNEN. VON VIELEN STIMMEN GLEICHZEITIG, DIE VOM LEBEN DER INSASSEN ERZÄHLEN. NEUER PFLEGER MIT OMI KOMMT INS BILD. SPRICHT LAUT, UM DEN LÄRM ZU ÜBERTÖNEN.
so, da wären wir. schaust ein bisschen in die glotze. lauter fesche burschen da in den cockpits. und das beruhigt. da brauchst du nicht weinen. die drehen da ihre runden und bekommen dafür eine menge geld. wie die politiker. die müssen auch nur sitzen bleiben und den sessel ja nicht frei geben. dann haben die das feinste leben. und halt lügen, oder besser: nicht die wahrheit, oder nur die halbe wahrheit sagen. da passen die schon auf und haben helfer. wie die rennfahrer hier beim reifenwechsel. für jeden reifen mindestens 4 mechaniker. und dann sind die reifen in 10 sekunden gewechselt. unser politiker hat für jedes interwiev-mikrofon fünf hansel, die ihm einflüstern, was er wie zu sagen oder besser nicht zu sagen hat. und die leute fressen ihm wie die vogerln aus der hand. aber was red ich denn da für blödsinn. jetzt tust brav ein bisschen zuschauen, dann komm ich wieder, gell omi. LÄSST OMI ALLEIN MIT DEN SCHAUFENSTERPUPPEN
OMIS TANZ MIT DEN PUPPEN. OMI TANZT IHR LEBEN. TON UND BILD BEGLEITEN
EINE MISCHUNG AUS MARY WIGMAN, KAZUO OHNO UND PINA BAUSCH (oder so ähnlich). GEHT, AUCH ZEITMÄSSIG, ANS LIMIT
7. BILD IM ZIMMER
OMI WERDEN VON PFLEGERIN UND NEUEM PFLEGER MIT MULLBINDEN DIE HÄNDE LINKS UND RECHTS AN DIE BETTGITTER GEBUNDEN. DAS BETT IST VOLL VON BLUTFLECKEN
PFLEGERIN
mensch, omi! was hast du denn jetzt schon wieder gemacht? der katheder ist weg, an beiden armen aufgekratzt. was bleibt uns denn anderes übrig?
NEUER PFLEGER
wir könnten ihr ja so handschuhe anziehen. haben wir in der ausbildung geübt.
PFLEGERIN
ha, handschuhe! und du glaubst, die lässt sie an? dann steckt sie sich die finger in den mund, versucht mit den zähnen, eher mit dem kiefer, die plastikhandschuhe von den händen zu ziehen. und verschluckt dann noch ein stück plastik. und erstick fast daran. und wer ist schuld? ich. immer ich. nein. festgebunden tagsüber, nachts ein wunderkügelchen. da schläft sie gut damit.
NEUER PFLEGER
aber geht das gut auf die dauer? das ist doch eher eine heftige dosis.
PFLEGERIN
heftig? in diesem zustand? in diesem alter? was ist denn da noch heftig? willst du sie leiden sehen? wie sie sich selbst zerstört?
OMI BEGINNT ZU SPRECHEN. NICHT KLAR, ABER DOCH SEHR GUT VERSTÄNDLICH
heilige jungfrau, hilf mir bitte. bitte aufmachen. bitte, bitte. warum, warum? aufmachen, bitte, aufmachen. maria muttergottes, mutter maria, die sperren mich ein. haben sie erbarmen, bitte aufmachen, sie bringen mich um. herr jesus christus…
PFLEGERIN UND NEUER PFLEGER SIND DAMIT BESCHÄFTIGT OMI ZU FIXIEREN: SOHN BETRITT DEN RAUM
ja, was soll das denn werden? wer hat denn das veranlasst?
PFLEGERIN
sie war so unruhig, hat sich den katheder selbst weggerissen und die unterarme…
SOHN
ja aber. da muss man doch jemanden nicht gleich festbinden, da brauchen sie doch eine genehmigung vom ubg-richter…
PFLEGERIN
nur bei kontinuierlicher fixierung, nur wenn das die ganze nacht angewandt wird…
SOHN
ja aber… jetzt bin ja ich da, und schau, dass sie sich beruhigt. jetzt machen sie das zeug da erst wieder einmal weg.
PFLEGERIN
sie übernehmen die…
SOHN
ja, ich übernehme die verantwortung. der junge herr da kann das ja gerne bezeugen.
JUNGER PFLEGER
ja sicher. wir verstehen sie ja. aber was sollen wir denn machen? wir können nicht die ganze zeit…
SOHN
schon, aber nicht festbinden wie eine verbrecherin. es gibt ja noch so etwas wie menschenwürde.
JUNGER PFLEGER
aber was sollten wir denn sonst tun?
PFLEGERIN VERDREHT DIE AUGEN
SOHN
soll ich das wissen? aber warum geben sie ihr denn keine beruhigungsmittel?
PFLEGERIN
und dann heißt es: die sezieren die alten, damit sie weniger arbeiten müssen. wie wirs machen: wir machen es immer falsch und schuld bin ich…
SOHN
das sagt ja niemand. aber sie müssen zugeben, dass das hier schon ein recht erbärmliches bild abgibt. jetzt binden sie bitte meine mutter los, ich bleibe etwa zwei stunden hier, und anschließend geben sie ihr etwas zur beruhigung. ich spreche dann noch mit dem arzt.
PFLEGERIN UND NEUER PFLEGER BINDEN OMI LOS UND VERLASSEN DEN RAUM
8. BILD SOHN UND OMI ALLEIN IM ZIMMER. HALBDUNKEL. AUS DEM OFF EIN „NIE GESENDETER BRIEF AN DIE MUTTER“. AM SCREEN BILDFETZEN
AUS DER VERGANGENHEIT
liebe mama,
jetzt bist du schon 92 jahre alt. eine ewigkeit. ein bürgermeister hatte vor einigen tagen erklärt, dass "wir wahrscheinlich menschen retten, die auf jeden fall in sechs monaten gestorben wären". guter junge. ich würde ihm gerne zwei ohrfeigen geben. eine, weil er so dumm ist, die andere, weil er zu schlau ist, um so dumm zu sein. dennoch bezeichnet er sich als friedfertig, als jemand, der das leben kennt und es respektiert. der junge herr würde dich problemlos ins jenseits schicken, überzeugt davon, dazu das recht zu haben.
es könnte jedoch alles auch noch schlimmer sein. zumindest bei mir. bei dir nicht. du hast dich bereits in schlimmeren situationen befunden. vor dem krieg, während des krieges, nach dem krieg. du hast sie gesehen. männer. entfesselt, wild, gierig. reich, arm, alt, jung, mächtig, versifft. aber immer männer, immer auf der suche nach fleisch, blut, frauen. und als bezahlung hinterließen sie münzen, seidenstrümpfe, ohrfeigen, schwangerschaften. ich bin ohne schaden aufgewachsen. geschützt. wir haben die kriege im radio gehört oder im fernsehen gesehen. auf jeden fall weit von unserem zuhause entfernt. von uns weg. unsere neue welt war das farbfernsehen.
habe ich dir jemals danke gesagt? wahrscheinlich nicht. eltern wird nicht "danke" gesagt. oder, wenn man es sagt, schmeckt es ein wenig muffig, nach kain und abel. also sage ich es jetzt: danke mama. auch wenn es ein zynisches, unehrliches danke ist. weil ich dir nicht dir nicht ins gesicht sehen muss. getrennt von krankheit und politik ist es leicht, "danke" zu sagen.
ich bin aus deinem leib gekommen, ich bin ein teil von dir. jetzt bist du im gefängnis. du kannst deine struktur nicht verlassen (was für ein schimpfwort! "die struktur ihrer mutter ist geschlosssen"). oder bin ich im gefängnis, der deine einrichtung nicht betreten kann? wir sind getrennt, sie haben uns getrennt. niemand hat uns gefragt. sie haben es auferlegt. ohne wahl. inmitten eines demokratischen landes. niemand fragte "willst du kommen und bei deiner mutter leben?" oder "willst du deine mutter nach hause bringen?" dekrete, dekrete, dekrete. jeden tag ein dekret eines experten. sind die experten auch expertinnen? oder nur männer? mit dem mitglied? mit gliedern? von der familie? niemand weiß es.
arm auch weiblein und männlein des politischen lebens. sie müssen so tun, als würden sie etwas verstehen, und stattdessen verstehen sie wenig oder nichts. so wie wir beide. gibt es ein virus? wir bleiben zu hause und warten darauf, dass es vorbei geht. vielleicht haben sie recht, wenn sie sparmaßnahmen predigen. vielleicht ist das virus die göttliche bestrafung, die uns die verschiedenen religionen versprechen. aber wir beide waren noch nie wirklich religiös. der ewige vater ... aber es ist eine beruhigende illusion. und doch: niemand weiß es.
lass uns feiern. muttertag. tag vom vater, vom großvater, von der großmutter. party jeden tag, für jedes wesen. das leben eine party, mama. weil du nie weißt: die krönung kann morgen enden oder in einem monat oder jetzt. niemand weiß es.
danke mama
9. BILD OMI IM TANZ DER JUGEND. ALLE SCHAUSPIELER AUF DER BÜHNE. OMI WIRD IMMER JÜNGER. DIE SCHAUSPIELER HELFEN IHR BEIM ENTKLEIDEN DER HÄUTE DES ALTERNS. AM SCREEN WIRD DIE GESCHICHTE ZU ENDE GEZEIGT, OMI ALS FÖTUS. ZWEI MENSCHEN LIEBEN SICH. STIMME AUS DEM OFF
und die einen werden aus liebe gezeugt und die anderen aus hass. und wir können es uns nicht aussuchen. wie kinder sind wir dazu gemacht, zu warten, zu schimpfen, zu danken. das ende wird ein anfang sein und lässt nur kurze zeit zum weinen. dann wieder ist das lachen da, die freude