geisterbahn. tokyo
diese computer. dieses gleichmachen, nein auslöschen jeglicher handschrift. früher konnte man noch jedem meister heimlich in sein handwerk pfuschen. mit freude und mit wonne. der spitz angelegte pinselstrich geriet ihm dann außer rand und band, und ich wage zu behaupten, dass die schönsten literarischen werke so zustande gekommen sind: den herrn schriftsteller überkam plötzlich ein leichtes, unbewusstes zittern und eh er sichs versah, war in seinem kunstvoll hingeworfenen zeichen eine leichte abweichung, eine unmerkliche subversion, und was neues stand da auf dem papier, etwas, das sich der gelehrte herr von sich selbst gar nicht erwartet hatte.
damit ists jetzt aber endgültig vorbei. aus die schönen zeiten, in denen es noch möglich war, selbst den einfachsten liebesbrief durch kleinigkeiten dermaßen umzugestalten, dass sich das liebespaar mit gewissheit nie und nimmer treffen würde. oder umgekehrt. heute sitzen alle wie blöd in der u-bahn, grapschen an den handys herum und verschicken hirnlose sms, sado-masochistische-seufzer. da bleibt für unsereiner dann natürlich nicht mehr viel spielraum. in diesen miefigen waggons, im winter zu heiß, weil überheizt, im sommer zu kalt, weil untertemperiert, da wird alles leben aufs eis gelegt, da wird vorbereitet auf das große nichts, aufs loch nach der letzten hoffnung. die finger der u-bahnmenschen fummeln hektisch über die viel zu kleinen tastaturen, was zur folge hat, dass dann, wenn es einmal soweit wäre, niemand mehr sich des echten fummelns entsinnen kann.
wie zärtlich die damen am hofe ihre pinsel hüteten! ein ganzer handwerkszweig wurde entwickelt: tuschsteine von der feinsten art, papiersorten wie aus dem schönsten traum und pinsel in allen größen und stärken. für alle etwas und doch für niemanden das richtige, weil keiner von sich jemals behaupten konnte, er wäre nun wirklich 100%ig herr seiner sprache. oder frau ihrer sprache, oder wie man da heutzutage sagt. die damen aber achteten mit unermüdlicher sorgfalt, dass nicht ein einziges härchen ihres lieblingspinsel sich verbog oder unangemessen wegstand. eine trauer jedesmal, wenn hie und da dann doch so ein exquisites schreibwerkzeug einmal zu alt war oder sonstwie zu schaden kam.
da war noch genug zu tun. in diese gestochene harmonie hinein konnte unentwegt bewegung gebracht werden. abgesehen davon, dass den damen, die mit ihren briefen natürlich auch nur immer eins im kopf hatten, nur all zu simpel die eh schon aufgeregte hand leicht ein wenig zittrig gemacht werden konnte, so war es doch oft eine freude, ein pinselhaar an irgendeiner passenden stelle nachträglich hinzuzufügen, das sorgfältig ausgewählte papier genau an jener stelle, wo dann die liebeserklärung so metapherndick aufgetragen war, dass sie auch der dümmste ritter verstehen musste, genau dort also einen kleinen, aber hässlichen und schmerzenden knick anzubringen, oder anstatt der üblichen träne einen fettflecken zu setzen. das war eine freude und noch größer jene über das erstaunen der schreiberlinge, weil die so gar nicht kapieren wollten, dass es da noch was geben sollte, was sich in ihr leben einmischte. das heißt, gewusst haben sie es schon immer, wir arbeiten ja auch in den träumen, im ganzen bereich des unkonzentrierten, überall dort, wo es ein bisschen mehr braucht als die formel: eins und eins ist zwei.
die computer aber haben nicht einmal das mehr. endlose kombinationen von einsen und nullen. und so schauen denn die männlein und weiblein dann auch aus. keine leerstellen mehr. nur noch1111110000000 oder 010101001010 usw. am anfang hatte ich mir überlegt, einfach das operationsfeld zu wechseln. laufmaschen z.b., oder auch leichte dunkle flecken in der umgebung der reißverschlüsse von männerhosen u.ä.m. aber das machte wenig sinn. die männer merkten nichts, weil sie das scheinbar nie anders gewohnt waren, die frauen gingen in den nächsten billigladen und kauften sich ein paar neue strümpfe. so fantasielos geht das derzeit alles ab.
und doch hab ich wieder hoffnung geschöpft. hoffnung auf eine prosperierende zukunft, auf ein neues leben für mich. und das ging so. wie gesagt, sind die menschen heutzutage ja dermaßen auf sich selbst konzentriert, dass sie es alleine nirgendwo mehr aushalten und daher auch selten zu hause sind. diese ganzen alten sachen wie blutfleck am boden, briefe vom verstorbenen, erotische verwirrspiele usw. das ist alles passé. die leute sehen gar nicht mehr hin, sex und horror wird an jeder ecke verkauft, kein interesse mehr am echten grauen. daher bin ich eines tages in die u-bahn, ja, und wie soll ich sagen: irgendwie war ich da von anfang an voll begeistert, wenn ich diesen ausdruck gebrauchen darf. wenn so am morgen die züge brechend voll sind, ein paradies, ein garten der lüste, und die früchte, die wir ernten sind 1000mal besser als alles bisher erlebte. da sind diese ganzen introvertierten armen geschöpfe, müde noch von der nacht und mit dem kopf noch in irgendwelchen dunstigen träumen, die hängen sich an den letzten freien bügel oder, wenn auch der besetzt ist, lehnen sich einfach ans nächste menschenfleisch und sind so arglos, dass es eine freude ist. ich hab es schon so weit gebracht, als schlagzeile in die zeitung zu kommen. „mysteriöser grapscher unterwegs!“ zugegeben, war nicht sehr originell, aber für den anfang genau das richtige. wenn die männlein und weiblein so richtig dicht zusammengedrängt durch die landschaft fuhren, dann brauchte es nicht viel. dieser kleine, feine druck auf eine hinterbacke, oder das leichte gefühl eines fingers, der sich sachte von einem knie nach oben arbeitet. mehr hab ich eh nicht getan. wenn es nicht gleich gewirkt hatte, dann halt ein bisschen mehr druck. und wenn möglich bei zwei frauen gleichzeitig. in der mitte ein mann. allein die blicke der zwei amazonen wird der nie mehr vergessen. er sah, bzw. spürte den blick von der einen seite, verstand ihn nicht, oder wenn, dann sicher falsch, spürte dann den blick von der anderen seite und verstand dann urplötzlich, ohne zu sehen, was da um ihn bzw. gegen ihn im gange war. das warten bis zur nächsten station war die vorbereitung auf die hölle. freilich aber sind solche freuden von kurzer dauer. ein immergleiches spiel, dieselben reaktionen. nach ein paar tagen war die euphorie vorüber. und unsereins lebt von abwechslung. in dieser u-bahn war genügend menschliches vorhanden, ich musste nur noch die rechte form finden, um auf meine kosten zu kommen. schließlich leben wir davon, dass wir uns bemerkbar machen, dass wir bemerkt werden. in jedem leben gibt es das: irgendein verwandter, der nicht ruhe gibt, ein in den selbstmord getriebener geliebter, der jede neue beziehung zu verhindern weiß, urahnen, die sich wehren, wenn auf ihrem grundstück das haus nicht rechtens ausgerichtet ist, vereinsamte freunde oder bekannte, die, wie aus dem nichts, sich von den zeichnungen der wände lösen und von dort direkt in die träume und tagträume der menschen gleiten, abgetriebene föten, welche nach dem ihnen versprochenen leben verlangen, zu früh in den tod geschickte, welche sich am telefon nach dem wetter erkundigen usw. es mangelt also nicht an möglichkeiten. nur an abwechslung. unser aktionsradius ist ja auch nicht unbegrenzt. wir arbeiten in jenen bereichen, wo die kontrolle etwas nachlässig ist, wo ein überlappen von konzentration und arglosigkeit besteht. auf den schmalen pfaden der unsicherheit ziehen wir unsere linien und arbeiten wie spinnen an ihren netzen, um unsere opfer dorthin zu treiben, wo kein platz mehr ist für verdrängen oder vergessen.
die berührung, der druck an dem körper, das war nicht schlecht, keine frage. niemand, der nicht reagiert hätte, alle leicht ent(sic!)geistert, aber diese verbindung mit dem sexuellen, mit all diesen vermurksten und verhedderten unterleibsnostalgien, das war irgendwie nicht das, wonach mir der sinn stand. in einer gewissen weise fand ich mich am ende dann immer wieder in diesen klebrig, süßlichen säften wieder, die letzten endes, und sei es dann erst spät am abend, unter der einsamen decke einen tag beendeten. denn wie sehr sich die blicke der frauen auch erregten angesichts der verspürten hand an ihrem körper, so sehr waren sie aber auch nur erregt! verlogen und dazu gezwungen! hätte eine einzige einmal gesagt: „oh, danke.“ oder: „wunderbar!“, dann wäre etwas bewegung in meinen alltag gekommen. so aber.
der zufall kam mir zu hilfe. ich war selbst etwas zerstreut, war mit meinen gedanken wahrscheinlich bei den eher betrüblichen perspektiven für meine zukunft, weshalb ich es wohl versäumt hatte, die form meiner substanz in jene bereiche zu wechseln, die für die menschen nicht mehr wahrnehmbar waren. ich war also aus purem versehen noch immer einem unsichtbaren zustand, einem schlaff aufgebasenem luftballon ähnlich, als eines dieser 01010101010-männchen in den zug gestürzt kam, kopflos, hechelnd, nicht nach rechts oder links blickend, sondern die augen stur am boden, mitten hinein in die paar stehenden passagiere und dann rücksichtslos durch dieselbigen hindurch, den leeren sitzplatz fixierend und ansteuernd, und dann – da war nämlich ich!
diese ein zwei sekunden. fühlen, staunen, tasten, sehen und dann erstarren. blankes entsetzen. die maske fällt ab. alle nacktheit preisgegeben der umgebung. der horror auf jedem mikron des ganzen daseins. der blick für einen augenblick der ewigkeit im tod versunken. der unglaube, der zum albtraum wird. wo nichts ist, kann nichts gewesen sein. und doch muss der satz nun auch umgedreht werden. wo was war, muss was sein. ist aber nicht. ich verflüchtige mich, ergötze mich an den leibern der nächsten umgebung, die da den menschen anstarrt, sein entsetzen wahrnimmt aber unfähig ist, in irgend einer anderen weise als mit abweisender gleichgültigkeit zu reagieren. das herz des opfers arbeitet an der grenze, hirnimpulse drohen auszusetzen, der schweiß bricht zu jeder jahreszeit und bei jeder temperatur hemmungslos aus allen poren. je nach lust und laune kann ich die höhe des zusammenstoßes variieren: den rüpeln, nasenbohrern, frauen ohne unterleib, männern mit arroganten bügelfalten, alten mit getürkten behinderungen, lauten kindern u.ä. gebe ich keine chance: 10 cm über der sitzbank spüren sie das grauen, das nichts. tasten, fühlen was (doch was?), versuchen die situation zu übertauchen indem sie sich mit gewalt, aber erfolglos, auf die bank drücken. die blicke der nachbarn strafen für alle künftigen verfehlungen auch gleich mit. kopfschütteln oder arrogante seitenblicke demütigen die opfer restlos, die in ihrer seltsamen pose sitzend stehen bis zum nächsten stop, bei dem der waggon dann fluchtartig verlassen wird. der druck, dieses gefühls der berührung mit dem unbekannten bleibt noch den ganzen tag und wird erst nachts dann so richtig aktiv, wenn er in die schlaflosigkeit eindringt und diese erbärmlichen leben in einzelne bilder auflöst, die keinen zusammenhang mehr ergeben.
lieb sind mir die feinen, diese schnösel aus der geldwirtschaft ohne geld, damen mit zu teuren taschen und schäbiger unterwäsche, computergesteuerte angestellte, die selbst im zug nichts besseres zu tun wissen, als tastonanie, sms-kids, hausfrauen mit raubtierblick nach ablegeplätzen für all den sinnlos eingekauften ramsch, schwangere, die, sofort nach der ersten begattung bereits das umstandskleid zur schau tragen. denen komme ich mit der variante soft: ca. 1 cm hat sich als ideal erwiesen. die menschlein sitzen dann im ersten augenblick und glauben, alles sei, wie sichs gehöre, doch dann, nach 5 bis 10 sekunden, werden die gesäßmuskel unruhig, wird gewicht verlagert, der rock unter den schenkeln glatt gestreift, eine hand unter den hintern geschoben, bis zur trostlosen erkenntnis, dass etwas nicht stimmt, etwas, für alle unsichtbar und doch so kalt und deutlich fühlbar wie die hand des todes.
dies also ist mein neues arbeitsfeld. ich denke mir, es müsste reichen. die lange zeit des suchens nach einem neuen standort hat sich aufgehört: ich habe mich auf die höhe der zeit begeben und werde von hier aus die metropolen der welt erstürmen. sie lächeln? mit welchem recht denn? sie bilden sich ein, das sei alles weit weg, andere kulturen usw.? dabei bin ich schon mitten unter ihnen. sie haben mich geholt. sie haben mich gelesen. sie werden mich also auch spüren. schon jetzt. wenn sie sich vorbereiten, fallen sie sanfter, aber: sie fallen auf alle fälle. wenn sie runde ecken spüren, der abstand zwischen ihrer schuhsohle und dem boden seltsam wird, wenn dimensionen sich offensichtlich von selbst verändern, dann
In: MINIKOMI. Jg./Nr. 64/2, 2002 (Informationen des Akademischen Arbeitskreises Japan. Österreichische Japangesellschaft für Wissenschaft und Kunst)