http://www.sprachsalz.com/2014/09/12/peter-giacomuzzi/

 

 

spuren suchen

 

da bin ich nun einmal ein autor. ein auto wär mir lieber. bin ich denn wirklich ein tiroler?

 

lesung wandlung

 

das autores begibt sich zum altar und richtet sich den stuhl zurecht. das publikum bleibt auch neutral und wartet würdig und recht auf den anfang. seitdem sich die zeiten geändert haben, muss es sich nicht mehr erheben, bleibt sitzen gelassen und geht in sich in der hoffnung, dass alles bald vorbei sei und der schlaf es nicht überkäme. das autores wird geküsst von den musen und der muser wartet schon eine ewigkeit auf seine chanche, welche ihm jedoch für immer verwehrt.  das autores nimmt jetzt die brille in die hand und öffnet den mund. es liest mit der stimme dessen, das in anderen sphären denkt und lebt und liebt. worte füllen den raum und erklingen und hallen von den wänden zurück. sie ergeben je nach alter, sozialer herkunft und sitzposition in dem poetischen raum diverse sinn- und unsinnheiten, welche das einzelne publikum so sehr beschäftigen, dass es hie und da schon gar nicht mehr in der lage zu sein scheint, den worten des autores zu zuhören. dieses jedoch hat sich inzwischen wunderbar eingelesen und die worte verlassen die lippen wie sich entpuppende kokons.

 

 

 

was ist ein echter, eine echte?

sind diese knotten

echt

und all die berge?

ein schäfelein, ein kleines, auf der wiese,

so schian und heimattreu.

 

bin ich ein neger?

nein, am niger

sind keine,

die bekannt.

du bist von hier?

nein, wohl von dort

die mutter war und auch der vater

da unterm rosengarten

wo könig laurin

oberm niger

seine possen trieb wie wir im prater.

 

das wir in uns ist ein verfeufelt wesen

es ist nicht auszulassen sonst

es kehrt nur gut der neue besen

die menschin kämpft, die menschen lesen

nur nullen und nur einsen.

 

 

 

nonnos zeigefinger

 

nicht drohung, nicht angst

nur das gelbe des weißen rauchs

hat sich eingeprägt in all den jahren

marke dreier und austria c ohne filter

in die lederne spröde haut

und in mein hirn ohne filter

 

 

 

 

bilinguistisches sonett für nonna

 

da   vertraut  dem  eigenen  gestank

die düstere ecke hat dich genommen

und    nicht mehr            losgelassen

wirst du    den ganzen tag  gesessen

 

fuori          le acque del fiume

ormai            non parlano piú

non finisce il corso del mondo

solo tu                sei distrutta

 

einst

                la

      war

                morte

          leben

                       continua

 

 

 

 

 

 

 

 

 

in diesen gassen kann ich mir die schönsten tode denken

der schelm tucholsky war nie hier, doch seine zeilen lenken

hin zu mir. ein knappes halbes leben hab ich hier verbracht

und niemals jemandem ...

 

 
Foto by Naomi Hanakata
 
Foto by Naomi Hanakata

 

 

nachtleben in tokyo

 

den huren bin ich ausgestellt. vielleicht des geizes wegen.

doch sind es auch die zeichen, die das blut erregen.

 

rechts oben kann ich lesen: sapporo ramen. viel mehr ist nicht passiert in meiner alphabetisierung. ein falsches wort, das alphabet. es passt zu diesen zeichen nicht. ausgehen in der metropole war meist ein freudiges irren in diesen gassen, die auch keine waren, weil diese häuschen und buden, wild durcheinander gewürfelt und ohne für uns erkennbare ordnung, unserer vorstellung von gemauerten dunklen steingebäuden widersprechen. die gasse ist die gosse. hier nicht. hier lebt es sich ganz leicht ab abends, so gegen acht.

tagsüber unscheinbar und ruhig, gehen nachts die lichter an und führen und verführen menschen in die welt der heiterkeit, des rausches und des lotterlebens. hier wird der graue tagesanzug an die wand gehängt, krawatten hängen offen an den hälsen, es gibt ein leben nach dem tod.

いらっしゃいませ irasshaimase. herzlich willkommen. nur herein.“ so locken die wirte die kunden. und das fleisch die lust. was sich verbirgt in diesen wegen? alles. und nichts. das geheimnis bleibt nur so lange eines, bis sich die schrift als lesbar erweist. ich mag keine sapporo ramen.

das motorrad hat sich nicht verirrt. es gehört hierher und wird gebraucht. und selbst ein kleines auto würde dieses bild nicht stören. der halbe kofferraum noch auf der straße, und ordentlich geparkt.

leuchtreklamen, bannerschilder. es ist was los und doch ist niemand hier zu sehen. wo sind die leute? metropole auf dem land. hier sind millionen unterwegs. maulwurfstadt. denkbar ist es, dass sich die kanaldeckel heben und das heer der anzüglichen salarimänner kurz die gasse belebt, um gleich dann sittsam und geordnet sich einen veritablen rausch anzusaufen.

die kabel oben in der finsternis verbinden diese wände außenhin. es sind die zarten fäden, nie straff, nie fest, ein erdstoß könnte sie zerreißen. so sind es filigrane adern, die das system zum pilz erheben. verflechtungen, die nie ein ende nehmen, und den menschen hinter diesen wänden die nötige sicherheit geben, wenn nach dem alkohol die beine nicht mehr mögen, den rechten weg nach haus zu finden.

 

stillleben in der gasse

hast du die kleine ratte gesehen

hinten im bild, da ist

wenn du sehen kannst

der winzige zipfel des langen schwanzes

der in der drehung um die ecke

ganz leicht sich nach oben wölbt

siehst du die ratte?

sie zeigt uns genau

den weg hin ins leben.

die welt ist nicht rau

ist freundlich und liebvoll

der sake verspricht, und rauch füllt die lungen.

ein müdsein ein schlafen

wach sind die dummen

 

die rote laterne nicht ganz in der mitte hat wenig zu tun mit dem rotlichtmilieu. hier gibt es kein rotlicht, alles ist weiß und ist hell und die nacht wird zum tag, wie er sein sollte und nie ist. die rote laterne der lust. doch lust in der gasse ist sprechen und fühlen und trinken beim rauch. der wind streift um die ecke, die bannerstangen klirren leis und sicher, die ratte wartet auf den müll.

dreh dich nie um, wenn du von einem solchen ort nach hause wankst, er lässt dich nicht mehr los. ein kleiner teil von mir ist dort geblieben und wartet, dass ich ihn suchen komme. mir ist so heimelig zu mute.

 

 

 

 

 

 

asylgedichte

 

 

 

chingetai

 

du führst das heer

der rechtlosen zu uns

von rechtlos nach unrecht

doch dein lachen wird nicht gebrochen

von der hähme der banken und geldscheine

papier ist geduldig kein segen gilt ewig es geht vorbei

 

 

aus den höchsten bergen

 

warum der nicht skifahren kann

aus den höchsten bergen

warum der nicht bergsteigt

aus den höchsten bergen

warum grad zu uns

wer dort nichts kann wirds hier auch nicht

wenn er wie dort nicht darf

 

javed

 

mit den dunklen augen

voll von trauer und freude

sie leuchten in der sonne und

weinen im dunkeln

das wetter ist schön

das klima düster

 

 

saddam hussein osama bin laden muammar al gaddafi

 

neuzeitliche diktatoren

mit westlicher hilfe

östlich gescheitert

ihr verdienst

sind wieder  zu

mördern geworden

 

 

muhamed

 

eine frau 9 kinder 17 enkelInnen

traumberuf deutschlehrer matrose

ein weiter weg doch

wenns dann soweit ist

wird deine stimme uns

verzaubern wie die wüstenrose

 

 

sabba

 

den arm den knüppeln geopfert

jetzt meteorologisch wetterfühlig

weinen konntest du und nicht mehr denken

doch jetzt die deinen hier und lenken

ab von dem arm  hin zu dem glück

die regeln werden gelockert

 

 

chiemelan

 

kann nicht schreiben

lesen wie ein kind

letter für letter oder dagegen

aber 4 sprachen die niemand versteht

hier

ein sprachgenie reduziert auf das a für

asyl

warten jahrelang bis ein beamter eine beamtin

den arsch bewegt und dann nur

ein warmer wind

föhn

 

 

etwas positives

(wikipoem für deutschlehrerInnen)

daf

die deutsche arbeitsfront 

war in der zeit des nationalsozialismus

der einheitsverband der arbeitnehmer und arbeitgeber

und wird teilweise auch

als nationalsozialistische einheitsgewerkschaft bezeichnet

die als vorbild

der einheitsgewerkschaften

nach dem zweiten weltkrieg

gesehen werden kann

 

 

da sitzen sie

die kriegsparteien

neben einander auf der daflerInnen bank

türkInnen kurdInnen

serbInnen, kroatInnen

israelInnen palestinänserInnen

uswInnen usfInnen

wo nur all die männer gebliebInnen

 

 

 

und in solch einer umgebung wird man selbst bekanntlich seltsam und da ich selbiges schon vorher zur genüge war, ists jetzt besonders arg.

 

 

ich bin ein neger, ein chines

seid mir nicht bös

die augen von dem hc strache

sind meine sache

nicht

und bin ein weib mit brüsten

und gehe hie und da in stöckelschuhen

mein gender liegt in geilen kisten

in den analen lässt sichs prächtig ruhen

 

 

 

heidi heida

dort wo aus schmaler felsenkluft

der eisack springt heraus

 

 

 

ei sack

mein gott

erst bald mit 60

wurd mir bewusst

in welches flusses mündung

ich bin hinein geboren

isarco!

eilá, tolomei

was? fehlte dir der mut?

rio coglione

ei sack

 

 

 

depressionsgedichte

 

 

sexistisches depressionsgedicht

 

existenzielle frage

 

gehst du

wenn er kommt

oder

kommst du

wenn sie geht

 

 

 

akademisches depressionsgedicht

 

 

im parterre des wissens. vater alma

 

heftig denkende hirner

mit pinnummer in richtiger richtung

 

proporzionierendes forschig gerecht

und immer der pflicht auch verpflichtet

 

alle objekte objektivierend

minirockkreuzkatakomben

 

wissen für alle bergpredigt marx

kontoertäge aus fötenplagiat

 

draußen am vorhof

pfauen mit rädern

(doch ohne federn)

aus weisen

 

 

 

depressionsgedicht in moll

 

 

und stämme noch und nöcher

bäume voller wald

öm nöchsten möcht öch höngen

 

 

 

kahtolisches depressionsgedicht

 

 

römische nonnen

(frei nach conrad ferdinand m.)

 

auf steigt der strahl und phallend gießt

er voll der purpurschale rund

die sich verleiernd überfließt

in einer zweiten schale grund

 

die zweite gibt sie wird zu reich

der dritten wallend ihre flut

und jede nimmt und gibt zugleich

und stöhnt und ruht

 

 

 

transgendirsches depressionsgedicht

 

einsam

 

 

kommt ein sam

zum andern

 

will zu samen

wandern

 

hörte er ein kurzes

„ei“

 

und schön knapp

am ziel vorbei