Liebe Männer und Frauen,
so begrüßt der österreichische Autor Josef Haslinger in letzter Zeit des Öfteren sein Publikum. Im Sinne von Veränderung der Paradigmen und Schwellenüberschreitungen scheint mir dies zumindest eine erheiternde Perspektive nach vor und zurück zu sein.
Vorweg zwei Einschränkungen:
1. Die Romantik gehört nicht gerade zu meinem Fachgebiet. Ich hoffe, Sie werden das merken. Zum 2. kann ich mich nicht einmal auf die, wenn auch mehr als zweifelhafte Autorität der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit berufen, um mich als Österreich-Experte ausgeben zu können, da ich derzeit bereits beim Konsumieren meiner dritten Staatsbürgerschaft bin.
Haben Sie also etwas Nachsicht, wenn die folgenden Ausführungen nicht immer streng wissenschaftlichen Kriterien folgen werden, und nehmen Sie bitte den einen oder anderen inhaltlichen bzw. logischen Sprung in Kauf.
Die nicht-vorhandene Romantik.
Nationale Spurensuche und sprachliche Empfindsamkeiten in Österreich.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Thema "Österreich und die Romantik" scheint auf den ersten Blick relativ wenig interessante Ansatzpunkte zu bieten: in allen größeren Standartwerken zur Literatur im Allgemeinen aber auch zur "Romantik" bzw. zu "Österreich" im Besondern, wird eine eigenständige romantische Bewegung in Österreich als mehr oder weniger "nicht vorhanden" bezeichnet. Betrachtet man andrerseits die Stereotypen, die über Österreich kursieren, bzw. von Österreich selbst verbreitet werden, kann man nicht umhin, den Begriff "romantisch" doch wieder zu gebrauchen.
Fritz Mauthner hat den Begriff folgendermaßen zu definieren versucht:
"romantisch, hat eine fast unentwirrbar verwickelte Geschichte; lehnt sich in der Bedeutung zunächst an den franz. Gebrauch (romanhaft, und doch wieder volkstümlich), dann (romantische Landschaft) an den englischen; den literarischen Begriff Romantik entlehnen später die Franzosen wieder von uns;"[i]
Eine dem Sprachskeptiker Mauthner würdige Begriffsbezeichnung - "eine fast unentwirrbar verwickelte Geschichte". Ich möchte im folgenden versuchen den einen oder anderen Knoten zu ent-wickeln, wohl wissend, daß derartige Unterfangen gar zu leicht sich in neuen Endlosknäueln verstricken können.
Romantiker in Wien.
Tieck und August Wilhelm Schlegel waren 1808 kurz in Wien, Brentano 1813/14, Jakob Grimm 1815, Eichendorff mehrmals, am längsten von 1810-1813. 1805 bereits kam Adam Müller und blieb, mit Unterbrechungen, bis zu seinem Tod 1829. 1809 kam dann Friedrich Schlegel und blieb ebenfalls bis 1829. Sowohl Adam Müller als auch Friedrich Schlegel sind in den österreichischen Staatsdienst eingetreten.[ii] Von 1814 bis 1823 hatte Zacharias Werner ein Predigeramt in Wien.[iii] Angesichts dieser personellen Dichte an sogenannten "romantischen Kapazitäten" scheint es mehr als kurios zu sein, an dem Topos des "un-romantischen" Österreich festhalten zu wollen. Interessant wäre es sicher auch, die genaueren Beweggründe zu untersuchen, weshalb ausgerechnet Wien ein Sammelplatz deutscher Romantiker geworden ist.
Liest man sich als nicht- Fachmann durch die Standartwerke der literarischen Romantik, so muß man bald und mit Verwunderung feststellen, das diese "Geistesströmung" offenbar über England, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Ungarn, Polen, einfach über ganz Europa hereinbrach, um Österreich jedoch einen großen Bogen zu machen schien. Die Einführung des Biedermeiers als literarhistorischen Begriff in den 30 Jahren unseres Jahrhunderts durch Kluckhohn und Bietak[iv], hat diesem romantischen Vakuum, als das Österreich rezeptionsgeschichtlich bezeichnet werden kann, einen lieblich-eisernen Schutzgürtel umgelegt. "Die wichtigste Leistung des Biedermeiers ist das Volkslustspiel und die Salon- oder Konversationskomödie, die sich in Österreich entwickelten, das überhaupt neben Schwaben die ausgeprägteste literarische Biedermeierlandschaft ist."[v] So steht es im großen Meyer.1972. (Zu beachten ist hier auch der offensichtlich programmatische Gebrauch des Hilsverbs: Österreich "war" nicht die ausgeprägteste Biedermeierlandschaft, sondern "ist" Biedermeier schlechthin. Was allerdings, müßte man aus heutiger Perspektive fragen, hat Österreich mit Schwaben zu tun?)
"Es wäre wohl überhaupt an der Zeit, daß dieser Unterschied [Österreich - Norddeutschland] in der Literatur allmählich ganz aufhörte und wir in der Geistesbildung ungetrennt, mehr und mehr eine Nation wären und würden, wozu nach allen Kräften beizutragen der vornehmste Zweck des Museums ist."[vi] So steht es im Vorwort der von Friedrich Schlegel 1812 in Wien herausgegebenen Zeitschrift "Deutsches Museum". Diese Zeilen klingen modern, sie beschreiben das Verhältnis der beiden, für ein halbes Jahrhundert der drei Länder (BRD, DDR und Österreich), und dokumentieren gleichzeitig auch Schlegels komplexe Verflechtungen zwischen theoretischen Ansprüchen und lebenspraktischen Notwendigkeiten. 1808 mit seiner Frau zum Katholizismus konvertiert, arbeitet er bis zu seinem Tod für einen Beamtenstaat, der dann unter Metternich durch ein weitverzweigtes und efftives Zensurwesen alles andere als "romantische" Wertgefühle seinen Untertanen zukommen ließ. Im Romantik-Band der "Erläuterungen zur deutschen Literatur" steht dazu Folgendes: "In der Begegnung mit dem Katholizismus war die deutsche Romantik zu einer ideologischen Stütze jenes klerikal-feudalen Restaurations-Regimes geworden, das bis zu seinem Sturz 1848 durch den österreichischen Staatskanzler Metternich repräsentiert wurde."[vii]
Die Aufnahme der Romantiker in Wien ist bisher von der Literaturgeschichtsschreibung kaum beachtet worden. Außer den Arbeiten von Roger Bauer[viii], Herbert Seidler[ix] und Wynfrid Kriegleder[x], liegen kaum andere Forschungsergebnisse zu diesem Themenkomplex vor. Dabei könnte sich eine solche Mühe, meiner Ansicht nach, in zweierlei Hinsicht lohnen: erstens wären die Zusammenhänge zwischen "Moral der Arbeit" und "Moral des Denkens bzw. Fühlens" dieser quasi vorindustriellen Gastarbeiter in Wien aufschlußreich für eine detailliertere Beschreibung ihrer Lebensumstände, zweitens könnten vielleicht auch etwas "quer" gestellte Fragen, wie z.B.: "War Friedrich Schlegel ein Österreicher?"[xi] dazu beitragen, die Probleme um die nationalen Eigenheiten innerhalb der österreichischen bzw. deutschen Literaturwissenschaft ein klein wenig zu erhellen.
Im Rahmen dieser kurzen Ausführungen allerding müssen wir uns mit einigen Anregungen begnügen. Allerdings mit solchen, die ein wenig im Abseits der üblichen philologischen Pfade zu liegen scheinen, uns jedoch dazu verhelfen sollen, das "Romantische" in Österreich bis in die Gegenwart kurz skizzieren zu können.
Roger Bauer versucht die Gegensätze zwischen deutschen Romantikern und katholisch-feudalabsolutistischen Auflkärern in Wien folgendermaßen zu begründen: "Das liegt daran, daß die Theorien dieser Philosophen [Fichte, Schelling und Hegel] unvereinbar sind (oder scheinen) mit dem, was man uns mangels eines besseren Ausdrucks den österreichischen "Kreationismus" zu nennen erlauben wird: eine Philosophie, die es vermeidet, mit der katholischen Orthodoxie und dem Rationalismus eines Leibnitz und Wolff zu brechen, und sich damit begnügt, das von Gott geschaffene Universum zu schildern."[xii] Dies mag auf den ersten Blick einleuchtend wirken, gibt aber auch keine befriedigende Antwort bezüglich der ambivalenten Rolle z.B. Friedrich Schlegels in Wien. Will man den Äußerungen der Zeitgenossen und den Ausführungen Bauers Glauben schenken, so handelt es sich bei der Rezeption der Romantiker in Wiens Nobelkreisen eher um eine erbaulich-pikante Zerstreuung der statusbedingten Langeweile denn um eine eingehendere Auseinandersetzung mit radikalen Neuformen des Denkens. Caroline Pichler etwa spricht in Bezug auf August Wilhelm Schlegels "Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur" (1808) von einer "angenehmen Unterhaltung während der Fastenzeit"[xiii]. Fest steht, daß die Romantiker in Wien unter sich blieben, nicht fest steht jedoch, in welchem Maße sie 1) diese gesellschaftliche Abseitsstellung selber suchten und 2) der Restauration unter Metternichs Regie tatkräftig zur Seite standen. Fest steht auch, daß sich in Wien nur ein einziger einflußreicher Gegner findet, der die Romantik wortgewaltig und auch in der Praxis zu bekämpfen versuchte: der spätere Direktor (ab 1814) des Burgtheaters Josef Schreyvogel (1768-1832). Daraus könnte man schließen, daß sich die Romantiker in Österreich langfristig und sehr erfolgreich niedergelassen haben und ihr Einfluß auf die Entwicklungen in Wien eher darauf verweisen, daß auch ihre Ideen, wenn vielleicht auch etwas den örtlichen Bedürfnissen Wiens angepaßt, nachhaltige Wirkung gezeigt haben müßten. Im Sinne einer nationalen Identitätsstiftung für den straff hierarchisch organisierten k. und k. Vielvölkerstaat hatten es die Romantiker in Wien allerdings schwer: Zum einen hätte ein solches Unterfangen an den Grundfesten der Habsburger Monarchie heftigst rütteln und schütteln müssen, andrerseits wären dadurch aber wohl auch die Beamtenkarrieren von Schlegel und Müller in Wien innerhalb kürzester Zeit wieder beendet gewesen.
Die österreichischen Romantiker: z.B. Raimund. Grillparzer. Lenau.
Entgegen den wiederholten Behauptungen, daß es keine Romantik in Österreich gäbe, werden einige österreichische Autoren in allen Überblicken zur Romantik dann doch jedes mal wieder erwähnt. Als Repräsentanten des "österreichischen Sonderwegs", aber doch in ihrem Wesen zutiefst der Romantik verpflichtet, werden vor allem drei Autoren bevorzugt behandelt: Ferdinand Raimund (1790-1836), Franz Grillparzer (1791-1872) und Nikolaus Lenau (1802-1850). Diese literaturgeschichtliche Sonderstellung, die diesen drei gänzlich unterschiedlichen und miteinander auch in keinster Weise verbundenen Autoren zugeschrieben wird, kann man zugleich als eine der Grundsäulen bezeichnen, auf denen die Philologie den Begriff einer "Österreichischen Literatur" begründen wird. Die grundätzliche Frage nach einer "österreichischen Literatur" ist von außen betrachtet wenig ergiebig und wird auch immer und wie selbstverständlich bejahend beantwortet, aus der Innenperspektive hat sie jedoch einen durchwegs permanenten hohen Stellungswert, da es dabei ja nicht um die Frage geht, ob es denn in Österreich eine Literatur gäbe, sondern um die Feststellung, daß die österreichische Literatur sich in einigen, allerdings wesentlichen Punkten, grundsätzlich von der "deutschen" Literatur unterscheiden würde. Ein Dilemma, in dem eine solche Haltung steckt, ist vor allem ein Begriffliches: was ist unter dem Begriff "Österreich" zu verstehen? Gehört Kafka noch dazu oder gar Bert Brecht? Das zweite Dilemma ist die Tatsache, daß sich für das erste niemand außerhalb von Österreich interessiert, weshalb die "österreichische Literaturwissenschaft" (auch diese Bezeichnung wäre noch genauer zu definieren) im Wesentlichen auch wenig anderes zu leisten vermag, als die Perpetuierung einer Frage ohne Zuhörer. Wenn Grillparzer, im Rückblick, häufig und gerne als der österreichische Nationalautor bezeichnet wird, stellt sich naturgemäß sofort diese Frage, und die Antwort wird ebenso naturgemäß nicht gegeben werden können: ist er der Autor der k.+k. Monarchie, war diese denn eine Nation, ist er der Autor der ersten Republik, der zweiten? Raimund hat laut diesen nationalunlogischen Rekonstruktionsversuchen die Wiener Volkskomödie begründet, was ihn eher zu einem letzlich ärmlichen gescheiterten Möchtegernklassiker denn zu einem Erneurer stempelt. Und Lenau ist der große Heimatlose, der Einsame, damit auch das Topos von Nähe und Ferne, heute würde man sagen vom Eigenen und Fremden gefüllt wird.
"Für die österreichische Literatur läßt sich festhalten: Die Literatur der Aufklärung endet nicht etwa mit dem Ende des Josephinismus und dem Einsatz der franziszeischen Reaktion; sie endet auch nicht im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, als die letzten Vertreter der josephinischen Generation allmählich verstummten. Sie dominiert im Gegenteil den literarischen Diskurs weiter - und zwar zumindest bis zur Jahrhundertmitte: Die Romantik dagegen setzt sich in Österreich nicht durch. (...) für die österreichische Literatur ist von einer romantischen Periode jedenfalls nicht auszugehen. Die Scharmützel zwischen Aufklärern und Romantikern waren nicht mehr als Scharmützel. Für die Entwicklung der österreichischen Literatur bleiben sie ohne Folgen."[xiv]
Diese Vorstellung von Österreich als Möglichkeit der Isolation, als Loch bzw. habsburgische Antipode ist kein Problem der Rezeption oder der Ästhetik. Sie ist ein Wesensmal dessen, was das Österreichische an Österreich erst ausmacht. "Es ist mehr als ein Scherz, wenn ich behauptet habe, daß über österreichische Literatur im vollen Sinn eigentlich nur mehr die Germanisten der anderen Nachfolgestaaten arbeiten können"[xv], schreibt einer der profiliertesten Fachleuchte der österreichischen Literatur, Walter Weiss, noch 1995. Freilich nur als kleine Notiz am Rande, freilich ohne diese folgenreiche Erkenntnis weiter zu verfolgen. Unter "Nachfolgestaaten" sind hier natürlich nicht jene der ehemaligen UdSSR sondern jene der Habsburger Monarchie zu verstehen. Der Vielvölkerstaat ist jene paradoxe romantische Projektion, die es erlaubt, wesentliche Merkmale der Romantik, wie Sprachskepsis, Ironie oder nationale Identitätssuche mit historischer Opferrolle und außenpolitischen Minderwertigkeitsgefühlen zu verbinden, und die bis heute noch den Alltag in Österreich prägt. Nicht nur den geistesgeschichtlichen.
Die Promenadenmischung. Die nationale Mißgeburt.
1986 erschien von Fritz Molden, einem der einflußreichsten Verleger und Publizisten des Landes, ein Buch mit dem Titel "Die Österreicher". Darin findet sich u.a. folgende Passage: "Die Suche nach den Wurzeln der Österreicher führte mich zunächst einmal dreitausend Jahre zurück in die Urwälder zwischen Donau und Alpen, wo jene Promenadenmischung ihren Anfang nahm, aus der schließlich die Österreichische Nation entstehen sollte."[xvi]
Eine solch harmlos verniedlichende selbstkritische Position dem eigenen Land, der Monarchie, dem Staat, der Nation gegenüber hat Tradition. Es ist dies eines der wichtigsten Muster, aus denen der so oft zitierte "Wiener Schmäh" die meisten Anregungen schöpft. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß dieses Zitat von Molden keinerlei Berücksichtigung fand. Es ist ein Bestandteil des "Österreichischen Humors", es gehört selbst zu dem, was man sich unter Nation vorstellt. Jörg Haider sprach zwei Jahre später von Österreich als " ideologischer Mißgeburt"[xvii], und eine Woge der Entrüstung ging durchs ganze Land. Der Unterschied zwischen "Promenadenmischung" und "Mißgeburt" wurde für den Parteiobmann der Freiheitlichen fast zu einem politischen Stolperstein. Haiders Popularitätskurve sank zum ersten Mal, wenn auch nur kurzfristig. Österreich erlebte einen kleineren Identitätsschock, weil klar war und wurde, was Haider eigentlich sagen wollte; besser: weil klar wurde, was in Österreich als Tabu behandelt wird. Die Frage nach der Zugehörigkeit, die Frage nach der nationalen Identität. Das Problem dabei entsteht haupsächlich aus der gültigen Negativdefinition: Wir sind keine Piefkes. Mit diesem Konsens hat es sich lange gut leben lassen, darin konnte man auch noch die wenigen Reste an kulturellen Beziehungen zu den ehemaligen Kronländern unterbringen, die selbst österreichische Speisekarten zu nationalen Identifikationslieferanten werden lassen. "Powidltatschkerln", "Cevapcici" und "Maroni" können die Nation zusammenhalten. "Österreich hat einen gesellschaftlichen Diskurs entwickelt, der dadurch charakterisiert ist, daß nie gesagt wird, was gemeint ist, und umgekehrt, wodurch alles eine symbolische Bedeutung erhält, die aber ihre wirkliche Bedeutung nach Möglichkeit nicht zeigt".[xviii] So versucht Robert Menasse die Problematik der Begriffsdefinitionen in Österreich zu beschreiben. Man sollte dazu vielleicht ein einfaches Beispiel aus der Praxis geben. "Servus in Österreich" ist der Slogan, mit der auch international nun schon jahrelang um neue Gäste geworben wird. Das Geld für diese großangelegte Kampagne kommt direkt aus der Fremdenverkehrswirtschaft, der Slogan hat also die klare Aufgabe, mehr Touristen nach Österreich zu locken. Effektvolle Fotos wurden mit diesem Spruch versehen und hängen als Poster überall dort, wo mögliche Kundschaft vermutet wird. "Sklave in Österreich", so läßt sich der Satz auch lesen und bekommt geradezu ästhetische Größe, wenn er nach romantischen Kategorien gewertet wird. "Sklave in Österreich", im Land der Berge und der Musik, das lassen sich wenige entgehen. Wo anders sollten sich die postindustriellen masochistischen Sklavenneigungen besser ausleben lassen als bei Sängerknaben und Heurigem? Daß dieser Slogan weiterhin völlig kommentarlos für Österreichs Tourismus werben muß, kann als gutes Beispiel für den von Menasse erwähnten gesellschaftlichen Diskurs in Österreich angesehen werden. Die romantische Ironie, die nach Friedrich Schlegel ja bekanntlich "das Gefühl von dem unauslöl. Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und der Notwendigkeit einer vollständigen Mittheilung"[xix] bezeichnet, scheint hier in vollendeter Form weiterzuleben.
Alle Meinungsumfragen der letzten Jahrzehnte bestätigen eine ständig zunehmende Identifikation der Menschen in Österreich mit der Vorstellung, daß man eine eigenständige Nation sei. Während dies 1955 etwa erst die Hälfte aller Einwohner glaubten, waren es Anfang der 90er Jahre an die 90%. Was darunter allerdings zu verstehen sei, darüber herrscht tiefste Uneinigkeit. "Für Österreich, auch geographisch im Grenzraum zwischen den jeweils dominierenden Nationsthesen, wurden beide (der Begriff der Staatsnation und jener der ethnischen Nation) in Anspruch genommen"[xx] schreibt der Historiker Erich Zöllner und kommt dann zum Schluß, "daß in Österreich eine mit dem Heimatgedanken eng verknüpfte, unkomplizierte, positive Staatsgesinnung, unterstützt durch politischen Realismus, erstarkt und soweit gefestigt ist, daß keine Veranlassung für eine erhitzte Auseinandersetzung über die `österreichischen Nation´, den `österreichischen Menschen´oder über das ureigenste Wesen des Österreichbegriffs besteht."[xxi] Robert Menasse hat eine solche Haltung, die vor allem darauf beruht, Flexibilität des Handelns in Flexibilität bzw. Nicht-Festlegung ethisch-moralischer Normen umzudeuten, folgendermaßen beschrieben: Das Prinzip der österreichischen Selbstreflexion "ist das Entweder-und-Oder, eine unerträglich sich spreizende Verrenkung, mit der versucht wird, von jeder Seite des Widerspruchs ein Zipfelchen zu erhaschen, von den historischen Notlügen einerseits, die man nicht wegdiskutiert haben will, und von der historischen Wahrheit andererseits, die man nicht mehr ganz wegdiskutieren kann."[xxii] "In ihr (der Ironie) soll alles Scherz und alles Ernst sein, alles treuherzig offen und alles tief verstellt."[xxiii] möchte man mit Friedrich Schlegel ergänzen.
Die "Promenadenmischung" hat sich den Anforderungen der romantischen Ironie nie verweigert. Als Ergebnis der langen Suche nach einer neuen Identität in einem schon wieder neuen Staat steht ein politischer Wirrkopf an der Spitze der zweitstärksten Partei: ein junger,alter Großdeutscher, ein Deutschösterreicher. Jörg Haider. Nachdem nun vierzig Jahre lang die Identität und damit die Vorstellung einer eigenen Nation vor allem durch die Abgrenzung zu den "Piefkes" von Bayern bis Berlin gesucht und gefunden wurde, kommt dieser Phönix und erzählt die Geschichte von der gemeinsamen großen Vergangenheit. "Die Nationen aber sind nichts Ewiges. Sie haben einmal angefangen, sie werden einmal enden. Die europäische Konföderation wird sie wahrscheinlich ablösen."[xxiv] So schreibt Ernest Renan. Allerdings vor gut hundert Jahren.
Die Krise der Sprache
Wiener Volkskomödie, Raimund, Nestroy, Hofmannsthal, Kraus, Mauthner, Wittgenstein, Bachmann, Handke, Jandl. Solche Listen lassen sich natürlich beliebig verändern und jedem Zweck und Ziel anpassen. Das haben Listen an und für sich. Ich möchte versuchen aufzuzeigen, daß die Skepsis der Sprache gegenüber, eine der Folgen der Frühromantik, eine bis heute weiterwirkende Tradition in Österreich ist. Vielleicht lohnt es sich ein bißchen genauer hinzuschauen, wo die Probleme diesbezüglich heute zu suchen sind. Bei den Beitrittsverhandlungen zur EU war ein Thema, das u.a. auch in der Öffentlichkeit heftigst diskutiert wurde, die Frage, besser die Angst vor einem sprachlichen Anschluß an Großdeutschland, denn man empfindet die"Betonung einer gesamtösterreichischen Sprachform als Ausdruck österreichischer nationaler Identität".[xxv] So ist es dann auch nicht verwunderlich, daß man in den Medien Schlagzeilen wie die folgenden finden konnte: "Wird aus Marillenmarmelade Aprikosenkonfitüre?" Auch hier wird klar, was unter nationaler Identität zu verstehen ist: es geht vor allem um eine Abgrenzung, um das "wir sind keine Piefke-Gefühl". Und somit ist es dann auch nicht verwunderlich, daß das Ergebnis mit der EU bezüglich der Sprachregelungen nach zähen Verhandlungen als großer Erfolg gewertet wurde. Dieser bestand darin, daß an die ca. 20 Austriazismen in den offiziellen EU-Sprachgebrauch aufgenommen wurden (Erdäpfel, Karfiol, Zwetschken, usw.). Die allerneueste Entwicklung diesbezüglich: Es gibt seit 1996 ein sogenanntes "Österreichisches Sprachdiplom Deutsch", getragen und gefördert von drei Ministerien, das als Gegenstück zu den Prüfungen der Goethe-Institute aufgebaut werden soll. Das "Ziel der Prüfung: Mit dem Österreichischen Sprachdiplom Deutsch als Fremdsprache (ÖSD) weist der Kandidat/die Kandidatin nach, daß er/sie über die der jeweiligen Prüfungsstufe angemessenen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, um sich in wichtigen Alltagssituationen mündlich und schriftlich zu verständigen. Das ÖSD geht von einer plurizentrischen Sprachauffassung aus, d.h. daß die großräumigen Standardvarietäten des Deutschen, wie sie in Österreich, der Schweiz und Deutschland (=ÖSD) vorliegen, berücksichtigt werden."[xxvi] Das Konzept einer plurizenristischen Sprachauffassung ist, von der Warte z.B. des Deutschunterrichts im Ausland aus gesehen, mehr als problematisch. Varianten ohne verbindliche Norm zu lehren und lernen kann kaum dazu beitragen, das Fach Deutsch attraktiver zu gestalten. Ganz abgesehen davon, daß unsere regionalen Varietäten sich sowieso in Aussprache, Intonation und Gestik ausdrücken, oft mehr als uns selber lieb ist. Das Paradoxon, um wieder ein bißchen zur Romantik zurückzukommen, besteht darin, daß auch hier etwas als extrem wichtig angesehen und diskutiert wird, was de facto gar nicht existiert: das "Österreichische Deutsch" ist eine Fiktion. Aber man kann darüber eine staatlich anerkannte Prüfung ablegen.
Zum Thema "Sprache" und "Österreich" ein Gedicht von Ernst Jandl aus "Die Humanisten - konversationsstück in einem akt:
m1 den deutschen sprach ...
m2 du lieben den deutschen sprach?
m1 den deutschen sprach mir heilig sein
m2 ich sehr lieben den deutschen sprach, sehr
lieben
m1 den deutschen sprach mir heilig sein
sein mein muttersprach
m2 sein mein und dein muttersprach
m1 muttersprach heilig sein
mir heilig sein
m2 mir und dir heilig sein muttersprach
deutschen muttersprach
m1 in kunst viel nicht gut sein
heut in kunst viel nicht gut sein
m2 deutsch sprach sein kunst
sein ein kunstsprach
m1 vaterland sein kunst
deutsch sprach und österreich vaterland
sein kunst
m2 österreich sein ein kunstland
m1 vaterkunstland
m2 kunstvaterland ...
salzenburger fetzenspiele!
m1 burgentheatern!
m2 operan!
m1 schuber und brahmst!
m2 schrammenmusik!
m1 österreich sein ein kunstland!
m2 donau zu blau, zu blau, zu blau
m1 sein ein kunstvaterland!
-
viel kunst heut nicht gut sein ...
viel kunst heut nicht viel gut sein
m2(heftig) sein viel - schmutzen
kunst schmutzen
m1 sein viel schmutzen
viel viel kunst-schmutzen
m2 sein ich kunst schutzen
m1 du sein und ich sein kunst schutzen
m2 deutsch sprach schutzen
m1 österreich vaterland schutzen
schutzen
m2 sein viel viel nicht kunstler
sein kunstschmutzen
sein schmutzen
m1 schmutzen finken
m2 schmutzenbacher
m1 pfui gack [xxvii]
Jandls Sprechgedichte gehören inzwischen zum Standartrepertoire der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Jemandem, unter dessen Fingern die Sprache jede beliebige Form anzunehmen geneigt ist, sind Körperlichkeit der Sprache und Sprachlichkeit des Körpers Grundvoraussetzungen für jedes poetisches Arbeiten. So könnte jener Dame, die in Jean Pauls "Dr. Katzenbergers Badereise" aus dem Jahre 1809 an Verstopfung leidet und "die nicht eher als nach dem Lachen Stühle gehabt"[xxviii], heute mit folgendem Gedicht Jandls leicht geholfen werden:
chanson
l´ amour
die tür
the chair
der bauch
the chair
die tür
l´amour
der bauch
der bauch
die tür
the chair
l´amour
l´amour
die tür
the chair
le tür
d´amour
der chair
the bauch
le chair
der tür
die bauch
th´amour
le bauch
th´amour
die chair
der tür
l´amour
die tür
the chair
am´lour
tie dür
che thair
ber dauch
tie dair
che lauch
am thür
ber´dour
che dauch
am´thour
ber dür
tie lair
l´amour
die tür
the chair
"Die Aufgabe der Philosophie ist, den Geist über bedeutungslose Fragen zu beruhigen. Wer nicht zu solchen Fragen neigt der braucht die Philosophie nicht"[xxix], notiert Ludwig Wittgenstein Anfang der 30er Jahre in sein Tagebuch. Die Beschäftigung mit in diesem Sinne bedeutungslosen Fragen, stellt das Grundgerüst unseres Lebenseinkommens dar, weshalb wir auch in Zukunft um solch nebensächliche Fragen nicht herumkommen werden: Gibt es denn eine österreichische Romantik? Als Leser muß ich sagen: Österreich hat eine Romantik. Wie gut, daß wirs nicht wissen wollen. Als jemand aber, der Texte über Texte produziert, muß ich das jedoch so formulieren: Österreich hat an der Romantik nicht teilgenommen - vielleicht eine wahre, sicher aber eine romantische Vorstellung. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
[i] Mauthner, Fritz: Das philosophische Werk. Nach den Ausgaben letzter Hand herausgegeben von Ludger Lütkehaus. Nach der 2. verm. Aufl. von 1923/24, erschienen im Meiner-Verl. in Leipzig. Bd. I/1-3, Wien-Köln-Weimar (Böhlau) 1997. Bd. I/1, CI.
[ii] Vgl. Seidler, Herbert: Die deutsche Romantik und der österreichische Vormärz. In: Germanistik II. Berichte über die gesamtösterreichische Arbeitstagung "Germanistik" für Lehrer an allgemeinbildenden höheren Schulen in Graz vom 30. August bis 3. September 1976. Hrsg. v. E. Benedikt, V. Böhm, W. Danhofer u.a. Wien (Österreichischer Bundesverlag) o. J. S. 44f.
[iii] Erläuterungen zur deutschen Literatur. Romantik. Berlin (Volk undWissen) 1980. 4. Aufl. S. 349.
[iv] Ebda. S. 42.
[v] Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden. Mannheim-Wien-Zürich (Lexikonverlag) 1972. Bd. 4, S. 142.
[vi] Zitiert nach Seidler, a.a.O. S. 50. (überprüfen !!!!!!!)
[vii] Erläuterungen zur deutschen Literatur. Romantik. a.a.O. S. 575.
[viii] Bauer, Roger: Die "Neue Schule" der Romantik im Urteil der Wiener Kritik. In: Die Österreichische Literatur. Eine Dokumentation ihrer literarhistorischen Entwicklung. Hrsg. v. H. Zeman. Graz (Akademische Druck- und Verlagsanstalt) 1982. S.221-229; Literatur und Philosophie - Anton Günther und seine Freunde. Ebda. S. 189-194.
[ix] Seidler, Herbert: a.a.O.
[x] Kriegleder, Wynfrid: Die Romantik in Österreich. In: Literaturgeschichte Österreichs. Hrsg. v. H. Zeman. Graz (Akademische Druck- und Verlagsanstalt) 1996. S.361-375.
[xi] Schließlich war er ja in Wien Hofkanzleisekretär bei Erzherzog Karl und war von 1815-1818 österreichischer Legationsrat beim Bundestag in Frankfurt.
[xii] Bauer, Roger: Die "Neue Schule" der Romantik im Urteil der Wiener Kritik. a.a.O. S. 224.
[xiii] Ebda. S. 222.
[xiv] Kriegleder, Wynfrid: Josephiner versus Romantiker. Eine Literaturfehde im Wien des Jahres 1802. In: Schmidt-Dengler/Sonnleitner/Zeyringer (Hg): Konflikte - Skandale - Dichterfehden in der österreichischen Literatur. Berlin (Erich Schmidt Verlag) 1995. S. 79.
[xv] Weiss, Walter: Ausblick auf eine Geschichte österreichischer Literatur. In: Schmidt-Dengler/Sonnleitner/Zeyringer (Hg): Literaturgeschichte: Österreich. Prolegomena und Fallstudien. Berlin (Erich Schmidt Verlag) 1995. S. 24.
[xvi] Molden, Fritz: Die Österreicher. München-Wien (Langen Müller) 1986. S. 16.
[xvii] Zitiert nach Bruckmüller, Ernst: Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse. Wien-Köln-Graz (Böhlau) 1996. S. 40.
[xviii] Menasse, Robert: Das Land ohne Eigenschaften. Essay zur österreichischen Identität. Wien (Sonderzahl) 1992. S. 65.
[xix] hier zietiert nach Meyers Enz. Zitat noch überprüfen
[xx] Zöllner, Erich: Der Österreichbegriff. Formen und Wandlungen in der Geschichte. Wien (Verlag für Geschichte und Politik) 1988. S. 94.
[xxi] Ebda. S. 96.
[xxii] Menasse, Robert: Land ohne Eigenschaften. a.a.O. S 16.
[xxiii] Schlegel, Friedrich: Lyceum Fragmente (108). Dazu auch noch Fragment (48): "Ironie ist die Form des Paradoxon. Paradox ist alles, was zugleich gut und groß ist." Zitat?????????????????????
[xxiv] Renan, Ernest: Das Plebiszit der Vergeßlichen. Über Nationen und den Dämon des Nationalismus - Ein Vortrag aus dem Jahre 1882. Frankfurter Allgemeine Zeitung 27. März 1993.
[xxv] Ebner, Jakob: Österreichisches Deutsch. In. Der Deutschunterricht, Jahrgang 44, Heft 6, 1992. S.54.
[xxvi] Aus der homepage des ÖSD im internet: http://web.vip.at/oesd/
[xxvii] Jandl, Ernst: Das Öffnen und Schließen des Mundes. Frankfurter Poetikvorlesungen. Darmstadt-Neuwied (Luchterhand) 1985. S. 101f.
[xxviii] zit. nach Fühwald, Wolfgang. Die Entdeckung des Leibes. Über den Zusammenhang von Literatur und Diätetik in der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv. Nr. 10. 1991. Innsbruck (Brenner-Archiv) 1991. S. 15.
[xxix] Wittgenstein, Ludwig: Denkbewegungen. Tagebücher. 1930-1932 / 1936-1937. Hrsg. von Ilse Somavilla. Innsbruck (Haymon) 1997. S. 39.f