Interkulturell – gegen wen?  Überlegungen zu den Rändern eines nicht mehr so neuen Fachs.

 

 

In zwanzig Minuten wird sich kaum mehr machen lassen, als ein paar Anregungen für später zu geben. Die vorgesehenen 5 Minuten Diskussionszeit dienen meistens ja auch nur mehr reziproker: “oh ja, Herr Kollege/ Frau  Kollegin. Es war mir eine große Freude” usw. Dies ist natürlich keine Eigenheit dieses Kongresses, auch nicht germanistischer Kongresse an und für sich, sondern entspricht dem Umgangston internationaler Wissenschaftsforen. In diesem Sinne sind wir jetzt also interkulturell: kurz gebunden, klar formuliert, mit Zeitbegrenzung als striktes Regulativ für zu nahe Kontakte. Und da wir auch gelernt haben, nicht immer alles so zu machen, wie es zu machen ist, will ich mir nun also etwas mehr Zeit lassen bzw. im Folgenden Ihnen ganz ruhig und ohne Hektik ein paar Gedanken vorstellen.

Um ehrlich zu sein: ich habe eigentlich bisher von der Diskussion um und über das Kulturelle bzw. das diesem dazwischenliegende, das, was an Stelle des Wortanfangs gemäß seiner Bedeutung im Wortinneren zu stehen hätte, von diesem “inter” habe ich also wenig bis nichts verstanden. Weder von den Diskussionen darüber, noch von den diversen Definitions- bzw. Abgrenzungsversuchen. Von relativ weit außen her betrachtet, sowohl räumlich, da ich in Tokyo lebe, als auch inhaltlich, weil ich mich mit Gegenwartsliteratur beschäftige, hat es derzeit den Anschein, als ob es innerhalb der Germanisten, die ihre Aufgabe als Didaktiker ernst nehmen, zwei Gruppen gäbe: jene, die sich der Tradition der Kulturvermittlung verpflichtet fühlen. Und jenen, die alles anders machen wollen. Die dritte Gruppe, die von dem Ganzen profitiert, bleibt ungenannt und freut sich: die Lehrbuchverlage. Zwischen den ersten beiden Gruppen scheint keinerlei Kontaktnotwendigkeit zu bestehen, die Einflussbereiche sind abgesteckt und, aus Zeitgründen, beschäftigt man sich lieber mit was Anderem als dem Naheliegendsten. Nur keine Aufregung. Nur keine Konflikte. So können also die Traditionalisten besten Gewissens die Interkultis ignorieren und die Letzteren Erstere als Banausen, Ewig-Gestrige und Elfenbeinturmwächter beschimpfen. Es wird sich nichts ändern, weil man beschlossen hat, sich gegenseitig zu akzeptieren, sprich sich nicht mehr wahrnehmen zu wollen. Die Freude bleibt bei den Verlagen: Es kann, ohne größeren Aufwand doppel produziert und dementsprechend auch kassiert werden. Traditionelle Grammatiken braucht man noch immer, solange keine nicht-traditionellen geschrieben werden.

Am deutschen Wesen kann diese Welt auch nicht genesen.

Und natürlich auch nicht am schweizerischen. Am derzeitigen österreichischen schon gar nicht. Dazu brauchen wir nur auf all die Schwierigkeiten schauen, die mit den Vorbereitungen zu diesem Kongress und der derzeitigen politischen Situation im Land aufgetaucht sind. Ein Lehrstück für Xenophobie. Von beiden Seiten her betrachtet. Der Weisheit letzter Schluss in dieser Entwicklung: die Etablierung des Österreichischen als plurizentristische Sprache, wie es halboffiziell heißt. “Nationale Varianten” des Deutschen sollten dabei, auch im Unterricht betont werden. Ich glaube, dass es langsam an der Zeit ist, sich die Frage zu stellen, wie weit und wie lange diese absurden Spielereien noch weitergeführt werden sollen. Dass das sogenannte Standartdeutsch nicht die einzige Variante des Deutschen ist, weiß meine Mutter auch. Und dass es für die schriftliche Kommunikation sehr hilfreich ist, ein Regelwerk benutzen zu können, das Zweifelsfragen in irgendeiner Form “ungerecht” normiert, auch. Die sprachpolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der oben erwähnten zwei Gruppen, haben weder etwas mit unserer Tätigkeit als Lehrende noch etwas mit den Interessen und Bedürfnissen der Lernenden zu tun. Es steht an, dass wir, die wir tatsächlich Deutsch als Fremdsprache lehren, uns langsam zur Wehr setzten. Die Anforderungen zwischen dem, was wir laut Stand der letzten wissenschaftlichen sprich sprachdidaktischen Ergebnissen tun sollten und dem, was wir laut unseren konkreten Arbeitsplatzbeschreibungen und unserer eigenen Fähigkeiten tun müssen bzw. können, klaffen dermaßen weit auseinander, dass man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, hier würde von völlig verschiedenen Themen gesprochen. Interkulturelle Kompetenz, handlungsorientierte Kommunikationsfähigkeiten, selbstreflektierende Wissensaneignung usw. Der Katalog dessen, was wir als Lehrer so alles zu vermitteln hätten, scheint babylonische Dimensionen anzunehmen und sein Wachsen durch nichts mehr zu bremsen zu sein. Wenn es darum geht, sich vorzustellen, was man wie und wozu denn alles so machen könnte und sollte und müßte, da bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. “Werde ein Mensch! Lerne Deutsch!” So klingt das manchmal. Aus dem Volk der Schlächter und Henker sind selbstbewußte und vergangenheitsbewältigte Didaktiker hervorgegangen, die auch jene zu beglücken versuchen, die solchem Treiben mit verständnislosem Staunen gegenüberstehen. Wer heute noch sagt, Studierende könnten nicht umhin, eine ganze Menge trockenster grammatikalischer Reihen auswendig zu lernen ist sozusagen nicht mehr kompatibel. Das nämlich wird in postmodernen DaF-Konzepten von jenen Instanzen übernommen, die zwar auf dem Mark, aber kaum im Bewusstsein, geschweige denn in Klassenzimmern oder Bibliotheken sind.

Ein kleines Beispiel dafür: die Suche, das andere Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache besteht, für den Teil 1, aus folgenden Materialien: Textbuch, Arbeitsbuch, Lehrerhandreichungen, 3 Audiocasetten, Folien, Glossare. Kostet insgesamt mindestens gut 150 DM. Interessierte Lehrende können sich denn auch nicht von dem bisschen Geld lumpen lassen und bestellen mit Lust und Wonne (solange es bezahlt wird). Das heißt dann, dass die meisten sich selbstverständlich mit dem Lehrbuch zufrieden geben. Wer sollte denn wann und wie überhaupt je in die Verlegenheit geraten, Zusatzmaterialien verwenden zu können/wollen, wenn die Anzahl der zur Verfügung stehenden Unterrichtseinheiten schon dermaßen begrenzt ist, dass man froh sein muss, ein Lehrwerk auch nur annähernd in irgendeiner Form zu Ende bringen zu können. Und zu Ende bringen müssen wir ja, denn:

alles führt zum Zertifikat!

Kein Lehrwerk, das ohne diesen Hinweis leben könnte. Und kaum jemand von uns, der wüsste, worum es sich dabei handelt und ob die dort angestrebten Ziele auch für die eigenen Studierenden angemessen sind. DAS ZERTIFIKAT schwingt überall mit, wird jederzeit als beruhigende und Kompetenz beweisende Instanz angerufen, so wie jedes Waschmittel Sauberkeit verspricht oder eine weißer als weiß Wäsche. Und während nun sich allmählich der gesamte Handlungsraum unseres Fachs bzw. unserer Tätigkeit hin zum Internet verlagert, wird man dort vergeblich nach diesen Richtlinien suchen, die auch vorher, wenn auch in Buchform erschienen, verborgen quasi als hyper-link bei unseren beruflichen surfereien  fungierten. Das neue Zertifikat soll den gesellschaftlichen und medialen Veränderungen Rechnung tragen. Doch was nützt das, wenn schon das alte keiner kannte…

Beispiel aus dem Inhalt der Lernzielbroschüre Zertifikat Deutsch:

…1. Produktive Fertigkeiten. Die Fertigkeiten Mündliche Interaktion und Schreiben werden auf dem Hintergrund von Szenarien beschrieben. Szenarien sind zu verstehen als “erwartbare Abfolgen kommunikativer Handlungen, die ihre Kohärenz durch den `gewussten sozialen Sinn´ erhalten” (vgl. ZDfB, S. 51).

Das, was hier so theoretisch klingt, lässt sich dann in den Lehrbüchern wiederfinden, indem auf Grammatik, zumindest auf für die Lerner nachvollziehbare, d.h. auch erlernbare Grammatikregeln meist zur Gänze verzichtet wird, die kommunikative Handlung samt ihrer Kohärenz dann aber im aktiven Satz: “Herr Ober, ein Bier!” ihren Höhepunkt findet.

Im neuen Zertifikat wird auch der plurizentristische Aspekt des Deutsche betont. “Mit der Prüfung `Zertifikat Deutsch´ zeigen die Teilnehmenden auch, dass sie die Sprache Deutsch mit ihren unterschiedlichen regionalen Besonderheiten verstehen.”  Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, wär ja dann wohl die Höhe. Wer sich nur einigermaßen mit Dialekten und Sprachvarianten auskennt, wird wissen, dass diese, neben vielen anderen Funktionen, auch stark abgrenzende, nur für sogenannte in-groups bestimmte kommunikative Funktionen erfüllen. Würden unsere StudentInnen tatsächlich die im Zertifikat angestrebten Lernziele erfüllen können, würden sich die Dialekte erübrigen. Was alles noch soll denn gelehrt und gelernt werden, wenn kaum einmal ein deutschsprachiger Tourist im deutschen Sprachgebiet sich besonders wohl fühlt, weil er eben die Ortssprache meist schlicht und einfach nicht versteht. Und auch nicht verstehen soll. “Plattdeutsch für alle!” oder “Schwyzer-Tütsch” weltweit!, dies wären dann konsequenterweise Slogans, mit denen wir uns in Zukunft beschäftigen sollten. Wie unwichtig aber selbst die Autoren der Europäischen Sprachzertifikate einen solchen Ansatz nehmen, zeigt aber schon ein Blick auf die Lernzielbeschreibung in den anderen Sprachen.

“Mit der Prüfung `Certificate in English´ zeigen die Teilnehmenden auch, dass sie Englisch, gleich ob britisches, amerikanisches, australisches, oder sogar indisches Englisch, verstehen. Das bedeutet nicht, dass Dialekt oder `Pidgin´ abgefragt oder getestet wird, aber damit soll bereits auf dieser Stufe deutlich gemacht werden, dass Englisch nicht nur das der BBC oder der Queen ist.”

Diese Floskel findet sich für alle Sprachen des Europäischen Sprachzertifikats. Es ist, wie auch an diesem Beispiel sichtbar, das Kommunikative, das Globale, das Internet an sich in Mode. Wir lernen eben alles im Paket. Oxford und indisches Englisch. Weana Schmäh und balina Schnauze. Wie dies alles zu geschehen hat, steht allerdings nirgendwo. Welche Voraussetzungen brauchen wir Lehrer, um solche Ziele überhaupt anstreben zu können? Und: Wer sollte uns denn in diesen plurizentristischen Bewandtnissen ausbilden?

Die multikulturelle Einfältigkeit scheint einen ähnlichen Weg zu beschreiten, wie die Gleichstellung der Geschlechter: Während man in der Praxis mehr oder minder zwischen einem Zentimeter Fortschritt und einem nach hinten hin und her balanciert, bewegt sich die Gender-Theorie in den Sphären der Geschlechterirrelevanz, was vor allem jene, die es betrifft, kaum begreifen können, bzw. zu Recht nicht gebrauchen wollen. Dass gleichzeitig auch eine Menge moralischer Instanzen mitgeliefert werden, die den angestrebten Zielen selbst oft 100% entgegengesetzt gegenüberstehen, ist kein Wunder. Die Sprachvarianten bieten allein in der Lexik all zu viele Stolpersteine für politisch korrekte Gutmenschen, die wir alle zu sein haben. Und immer bleibt die Frage offen: Kommunikation. Ja. Aber welche denn? Müssen wir lehren, dass am Stammtisch gesoffen wird, je nach Region noch massenweise Judenwitze kursieren, und die Weiber, Girls, Bienen usw. (auch dies je nach sozialer Schicht und Herkunft) hauptsächlich der alkoholisierten Lustbarkeit dienen? Oder aber sollen wir zum Thema Homosexualität nicht einfach damit beginnen, und die Teilnehmer nach ganz ehrlicher deutscher Art und Weise zu fragen: Sind sie nicht homosexuell? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? und sie dadurch ohne große Umwege in die landeskundlichen Varietäten zu diesem Thema einzuführen.

Das Zertifikat gibt auf all das naturgemäß keine Antworten. Es wäre wieder an der Zeit, Lehrbücher zu produzieren, die nicht zum Zertifikat führen. Vielleicht an ihm vorbei, drüber, drunter oder sonst wohin. Vielleicht gibt es dann wieder den einen oder die andere Interessentin mehr. Vor ein paar Jahren noch, war es das große Ziel, die Produktion von Lehrbüchern auf Deutsch im Ausgangsland  zu fördern. Mit der deutschen Einheit scheint auch dieser Aspekt vereinheitlicht worden zu sein. Hauptsache: die verstehen mich! ist das Thema geworden. Für die ganz unscheinbar und fast ruhig eingeführte Sprachprüfung bei einem Antrag zum Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft beschäftigten sich dann auch folgerichtig die mit dem Thema vertrauten Institutionen kaum, oder wenn dann nur ganz leise. “Zertifikat Deutsch für den Erhalt der deutschen, österreichischen, Schweizer Staatsbürgerschaft”. Das wär doch ein Ziel. Kommunikativ, global, interaktiv und –kulturell. Allerdings: wie soll denn das dann wohl aussehen, das Inter-Aktive, z.B. Non-verbal communication, Körpersprache, auf Deutsch? Hand um die Schulter legen, der legere Stoß in die Rippen des Freundes, Flirten ohne sexuelle Belästigung, politisch korrektes Hochziehen der Augenbrauen usw. Die Vertreter des Österreichischen Deutsch sollten sich dann auch jener Sprache widmen, die die Männer um Jörg Haider verwenden. “Unser Bundespräsident ist ein Hump”. “Ausländererinnen lassen sich in Österreich auf unsere Kosten massenweise künstlich befruchten”, “ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich”  usw. Das wäre anschaulicher DaF-Unterricht: zeitbezogen, alltagsnah und lebendig. Aufzupassen wäre dabei allerdings, den StudentInnen keine kritischen Äußerungen beizubringen, da dieselben derzeit im Lande verschärft sanktioniert bis strafrechtlich verfolgt werden.

inter den Kulturen

was natürlich auf Deutsch eigentlich hinter den Kulturen heißen müsste. Dorthin nämlich haben wir uns selbst verbannt, in dieser lächerlichen Anmaßung, dass sich die anderen, indem sie uns verstehen lernen, sich auf eine wie auch immer geartete höhere Ebene des  Erkennens, Verstehens und des Mitteilens begeben würden. Und kaum einer von uns, der über sein Schulenglisch, -Französisch oder –Spanisch hinausgekommen wäre. Dafür gibt man sich derzeit locker unbekümmert: mit fließendem falschen Englisch als Botschafter für das Deutsche rund um die Welt. Und wehe, wir werden da nicht verstanden. Die Oberfläche, auf der wir uns zu bewegen haben heißt: jung und flott, Deutsch mit Freude, Deutsch mit Spaß, regen Sie Ihre Studenten zu eigenem Denken an. Dazu allerdings brauchen die StudentInnen weltweit ausgerechnet die DaF-Lehrer, ausgerechnet uns. Als ob sie seit alters her nur darauf gewartet hätten, dass wir sie zum Denken anregen.

Das Kulturelle, die Kultur, ist beim Interkulturellen auf der Strecke geblieben. Sie spielt keine Rolle mehr. Mit dem IC durch Deutschland. So als ob nichts dabei wäre. So als ob die nun fast schon unzählbaren Zugunglücke nichts mit Alltag, nichts mit Sicherheitskultur, nicht mit Managementkultur zu tun hätten. Theater, Literatur, Film, Musik, das ist ja alles so fürchterlich langweilig geworden, das interessiert ja keinen mehr. Vor allem aber uns selbst nicht mehr, weshalb wir dieses unser Manko denn auch sogleich zum Prinzip unseres künftigen Handelns gemacht haben. In dem Buch “Kanak Sprach”, einer Interviewsammlung mit 24 in Deutschland lebenden Türken sagt einer davon: “Aber, bruder, der alemanne ist ja gern dozent und mag ne weisheit nach der anderen in die welt scheißen, nur wenn’s drum geht, mal die eigene personenhaltung aufzuknacken und´s madengewimmel rauszulassen, ist er nicht mit von der partie. Der alemanne, bruder, frißt krise, scheißt krise, und steckt dich mit ner grübelmikrobe an, daß es auch in dir man kriselt und scheppert bis zum jüngsten tag.”  (Feridun Zaimoglu:  Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft. Berlin 1995 Rotbuch)

Wir werden uns verweigern müssen. Gegen die aufgeblasenen neuen Ansätze, die längst alte Hüte sind, gegen die Lächerlichkeit des eigenen Unvermögens, gegen moralisch und politisch korrekte Leerstellen. Und wir werden uns darauf besinnen müssen, dass jene, die zu uns kommen, in Bezug auf Interkulturalität uns notgedrungen immer schon ein paar Schritte voraus sind und folglich von uns keine Weisheiten brauchen, sondern praktische Hilfeleistungen, wie sie diese Sprache erlernen können.

 

 

Vortrag:

X. Internationaler Germanistenkongress, Wien 2000. Bisher unveröffentlicht.