Von der Vermittlung deutscher Wörter.
I. Einleitung
Die folgenden kurzen Überlegungen sind weniger als 'wissenschaftliche' Ergebnisse denn als Anregungen oder kleine Gesprächsgrundlagen für eine in Japan bereits vehement geführte Diskussion um die Funktion des Deutschunterrichts anzusehen[1]. Mir scheint, daß als Hauptproblem bei diesen, durchaus notwendigen Auseinandersetzungen, die Fokussierung der Argumente allein auf die deutsche Sprache eines der wesentlichen Hindernisse darstellt. Das große Gejammer über die Demotivation der Studenten läßt sich auch leicht als ein Klagen der Lehrer um zu wenig Anerkennung des eigenen Berufsstandes in der Öffentlichkeit lesen. Und anstatt sich zu fragen, weshalb diese Öffentlichkeit wenig Interesse bekundet, wird nach wie vor die Frage gestellt: Wie können wir unsere Studenten wieder dazu bringen, für des Fach Deutsch (wie immer das dann auch definiert ist) mehr Engagement aufzubringen?
Es kann jedoch nicht darum gehen, mit Hilfe einiger Tricks aus der Verkaufswerbung das Fach Deutsch als das, im Vergleich zu anderen Fremdsprachen, "bessere", d.h. interessantere anzubieten, sondern es muß nach Elementen und Strukturen gesucht werden, die die Vorherrschaft, Aktualität, Anziehungskraft einer Sprache ausmachen. Die Schulen, Hochschulen und Universitäten haben keine autonomen oder gar autarken Raum für ihr Tun. Sie werden finanziert und dadurch auch stark konditioniert entweder als öffentliche Organe staatlicher Bildungskonzepte oder als private Unternehmen mit gewinnorientierten Kapitalstrategien. Beim ersten Modell bestimmen vor allem die aktuelle politische Landschaft, beim letzten die großen Unternehmen maßgeblich Inhalt und Form des Lehrens und Lernens.
Zahlen sind oft trügerische Elemente, mit deren Hilfe betrogen, verfälscht und in die Irre geleitet wird. Trotzdem wäre es wohl wichtig, hin und wieder auf einige Daten aufmerksam zu machen, um dem Gegenstand, der beschrieben werden soll, in einen 'faßbaren', das heißt auch abstrakt vorstell- und vergleichbaren Rahmen stellen zu können. Offensichtlich ist es aber derzeit nicht möglich, einigermaßen genauen Zahlen über Deutsch(als 2. Fremdsprache)-Studierende in Japan zu erfassen. Die diesbezüglichen Untersuchungen[2] geben Zahlen zwischen 400.000 und 750.000 an. Bei einer dermaßen großen Diskrepanz lassen sich auch kaum allgemeinere Aussagen über Rückgang oder Ansteigen des Deutschunterrichts machen.
Die Rolle der muttersprachlichen Hochschullehrer ist ein anderes Problemfeld, das sich bei näherer Betrachtung weit weniger als ein germanistisch-geisteswissenschaftliches als ein psychologisch-ethnologisches darstellt (vgl. dazu SCHNEIDER). Deren wissenschaftliche Qualifikation ist in der Regel kein Thema mehr, wohl aber kulturspezifische Differenzen, Ressentiments aller Art und sozialökonomische Aspekte.
Die nötige Distanz zu finden, um über die eigene Befindlichkeit etwas mehr als nur subjektiv berichten zu können, ist mitunter eine Sisyphusarbeit. Mögen all jene dies berücksichtigen, die mit den folgenden Darstellungen nicht einverstanden sein können. Daß jemand, der die Landessprache nicht beherrscht, kaum mehr als nur kurze Einblicke in ein System erhaschen kann, ist klar. Ich hoffe jedoch, daß sie verständlich, d.h. mitteilbar sind.
II. Fremde Sprachen
Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache, so daß keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut. (GENESIS 11,1-9)
Am Anfang stand das Wort. Fragt sich ja nur: welches. Und in welcher Sprache. Und von wem. Sieht man von Gott ab, der Adam sozusagen zur Begrüßung auf Erden mit einem Verbot empfing (Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis ... GENESIS 2, 26), so war es die Schlange, Satan, das Böse, die als erste auf dieser Welt einen "normalen" Dialog angefangen hat. Zumindest in unserer christlich-abendländischen Kultur. Die Schlange und das Weib. Tratschweiber. Diese Tradition zieht sich hin bis Freud und bleibt selbst noch in unserem engen Tätigkeitsfeld als Deutschlehrer im Ausland bestehen: Die jungen Frauen sind weit mehr für den kommunikationsorientierten Unterricht als ihre männlichen Kommilitonen zu begeistern (mann schweigt, FRAU schreit), in den Graduiertenkursen sitzen aber dann doch nach wie vor hauptsächlich Männer. Es lassen sich jedenfalls solche Eindrücke, wie richtig oder falsch sie auch immer sein mögen, nicht so leicht widerlegen.
Die Sprachverwirrung nach dem Turmbau zu Babel ließe sich ohne viel Mühe auch so zu lesen: Da sich die Menschen nur allzu gut verstanden, bekam es Gott mit der Angst um seine Macht zu tun und achtete peinlichst genau darauf, daß kaum einer den anderen noch verstand. Sprachenvielfalt als Strafe also. Insofern ist unser Arbeiten im alttestamentarischen Sinne durchaus als subversiv zu betrachten, ist es doch unser aller vorderstes Anliegen, über verschiedene Sprachen hinweg, Kommunikation, Verständigung zu ermöglichen.
Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt, denn jeder hörte sie (die Apostel) in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phyrgien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden. Alle gerieten außer sich und waren ratlos. Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken. (APOSTELGESCHICHTE 2,6-13)
Beim Pfingstereignis hat Gott noch einmal klar gemacht, daß Verständigung zu ihm nur durch Verständigung von ihm möglich ist. Seine Sprache gerät ihm zum Machtmonopol, das er auch ganz offen einsetzt. Die Apostel bleiben nur Werkzeug, Sprachrohre im eigentlichsten Sinne, PR-Leute also.
Was alles, mag jetzt gefragt werden, soll das mit dem Deutschunterricht in Japan zu tun haben? Man möge mir diese kurzen Ausschweifungen verzeihen, aber ich glaube, daß es notwendig ist, hin und wieder doch die Perspektiven auf unser Tun zu wechseln. Ansonsten gibt es keinen Ausweg aus den nun schon endlos erscheinenden Diskussionen und Diskussiönchen um den Sinn und Zweck des Fremdsprachenlernens und -lehrens.
Kein Land hat wie Deutschland seit dem 2. Weltkrieg derart viel Geld in die Verbreitung der eigenen Sprache im In- und Ausland investiert, "jährlich etwa 600 Mio DM, das sind etwa 50% des Kulturetats des Auswärtigen Amtes" (AUSWÄRTIGES AMT S.1) Das hat natürlich seine guten historischen Gründe und Notwendigkeiten. Die von Willy Brandt seinerzeit geprägte und noch heute verwendete Formulierung von der auswärtigen Kulturpolitik als der dritten Säule der Außenpolitik bezeugt zur Genüge, daß Politik aber auch die Wirtschaft alles Interesse daran hatten, durch eine durchaus als strategische Offensive zu verstehende Sprachförderung das Bild des häßlichen NS-Deutschlands durch ein neues, (selbst)kritisches, zukunftsweisendes und friedvolles zu ersetzen. Goethe-Institute, DAAD, Inter Nationes und Deutsche Welle waren und sind die hier wichtigsten Organisationen. In der ehemaligen DDR verliefen diese Entwicklungen aus denselben Interessen fast parallel, hauptsächlich über die Herder-Institute, aber auch im Bereich von DaF, wo vor allem für eine systematische Entwicklung des neuen Fachs grundlegende Arbeiten geleistet wurden.
Österreich hat erst seit dem Zerfall der kommunistischen Mittel- und Osteuropäischen Staaten sein Interesse an der Förderung der eigenen Sprache im Ausland entdeckt, wo übrigens auch die BRD im Daf-Bereich ihre finanziellen Zuwendungen erheblich gesteigert hat. Hand in Hand gehend mit einem starken Distanzierungsbedürfnis gegenüber dem Hochdeutschen[3] hat man, mit leichten Seitenblicken an ein neu zu schaffendes kulturpolitisches Mitteleuropa, vor allem in Tschechien, in der Slowakischen Republik und in Ungarn mit erheblichem Aufwand neue Kulturinstitute, -abteilungen in den Konsulaten und Botschaften eröffnet und die Lektorenzahl in diesen Ländern deutlich erhöht (Vgl. ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH S.338).
Die Schweiz nimmt an dieser Konkurrenz um Marktanteile im Auslandssprachunterricht nicht teil. Dies mag wohl hauptsächlich damit zusammenhängen, daß die Koordination und Integration der eigenen drei bzw. vier Sprachen keinen Raum für Exportinteressen frei läßt.
Wenn der Export einer Sprache dermaßen attraktiv ist, dann, möchte man meinen, muß auch das Lernen, die Lernmotivation, diesen Anstrengungen entsprechen. In der Tat ist Deutsch, nach dem Wegfall von Russisch als 1. Fremdsprache, z.T. noch immer gemeinsam bzw. neben Englisch die wichtigste Fremdsprache in Mittel- und Osteuropa.
Seit dem Umbruch Ende der 80er Jahre bemühen sich östliche Staaten politisch, wirtschaftlich und kulturell um den Anschluß an die Entwicklung in Westeuropa. Kenntnisse der wichtigsten westlichen Sprachen haben dabei eine Schlüsselrolle (AUSWÄRTIGES AMT S.2).
Die gegenwärtige Krise der Weltwirtschaft, vor allem die Probleme um Arbeitslosenquoten und Altersversorgungssysteme, haben jedoch auf der anderen Seite dazu geführt, daß in den Kulturetats der oben genannten Institutionen erhebliche Kürzungen bzw. Umschichtungen vorgenommen werden mußten, wobei natürlich zunächst auf die eigenen Interessen Rücksicht genommen wurde.
III. Deutsch in Japan und ein unerforschtes Zwischenspiel
Die Geschichte des Deutschunterrichts in Japan ist mittlerweile relativ gut und ausführlich beschrieben[4]. Ein Vakuum besteht derzeit noch in der Analyse der Stellung des Deutschen kurz vor und während des 2. Weltkriegs. Der gesamte Komplex bedarf noch einer grundlegenden Studie, welche dann auch dazu dienen würde, die veränderte Stellung des Deutschen im Nachkriegsjapan etwas differenzierter als bisher darstellen zu können. Es mutet seltsam an, daß um dieses Thema sich sowohl die Germanistik als auch die Japanologie zu Riesenslalomfahrten bemüßigt fühlen, geht es hier doch um einen Zeitraum, in dem sich die beiden Staaten, zumindest auf offizieller Ebene, so nah wie nie zuvor und nachher waren. Offensichtlich bestand diese Einsicht, daß es noch eingehender Quellenstudien bedarf, um das Verhältnis der beiden (bzw. drei, will man auch Österreich miteinschließen) Staaten einigermaßen erschöpfend zu beschreiben, schon um 1940.
"Da es noch keine gründliche und vorbildliche Abhandlung über die Geschichte der deutsch-japanischen Beziehungen gibt" (RAMMING S.75), wurde auch während des kurzen Achsenbündnisses das Japanbild in den damals vor allem als Informationshilfen gedachten zahlreichen Publikationen über den neuen Bündnispartner, weniger von der Kenntnis des Landes als von den politischen und militärischen Bedürfnissen des eigenen Gesellschaftssystems geprägt. Welche Rolle damals jedoch die deutsche Sprache an den Oberschulen und Universitäten Japans spielte, ob die politischen Entwicklungen sich überhaupt, und wenn ja, wie? auf den Deutschunterricht bzw. auf die japanische Germanistik auswirkten, ist nach wie vor unerforscht.
Dabei würde sich jenem, der sich an dieses offenbar noch immer mit einem eher unsichtbaren doch mächtigen Tabu behafteten Thema heranwagen würde, ein breitgestreutes und durchaus widersprüchliches, daher interessantes Aufgabenfeld eröffnen. Das folgende Zitat könnte als Beispiel dafür gesehen werden, welch verzwickte Probleme sich da auch auf ideologischer Seite oft auftaten.
Es ist zum Beispiel nicht einzusehen, warum Millionen von Menschen im Laufe der Jahre zwei oder drei fremde Sprachen lernen müssen, die sie dann nur zu einem Bruchteil verwerten können und deshalb auch in der Mehrzahl wieder vollkommen vergessen (...) Sie haben in ihrer Jugend mithin Tausende von Stunden einer Sache hingegeben, die für sie später ohne Wert und Bedeutung ist. Auch der Einwand, daß dieser Stoff zur allgemeinen Bildung gehört, ist unrichtig, nach dem man das nur vertreten könnte, wenn die Menschen ihr ganzes Leben hindurch über das Gelernte verfügten. (HITLER S.465-466)
Wie wurde von japanischer Seite eine solche Aussage gelesen bzw. verstanden? Haben, und wenn ja wie, die japanischen Germanisten und Deutschlehrer darauf reagiert? Was haben die deutschsprachigen Lehrer dazu gesagt? Ein Katalog solcher und ähnlicher Fragen ließe sich noch um einiges erweitern. Hier soll nur festgehalten werden, daß es bezüglich der deutsch-japanischen Beziehungen während des Drei-Mächte-Paktes, besonders in Hinblick auf dessen Auswirkungen auf den Deutschunterricht in Japan (aber natürlich auch auf den Japanischunterricht in Deutschland) noch krasse Forschungslücken gibt.
Möchte man in Zukunft, auch im Sinne einer, wie auch immer verstandenen Interkulturalität, die Beziehungen vertiefen und den Erkenntnishorizont erweitern, wäre es für beide Seiten wohl vorteilhaft, das in diversen Archiven noch ungenutzte Material zu sortieren und zu dokumentieren. Falls dies nicht geschieht, kann getrost mit der Reproduktion eingespielter Rezeptionsmuster fortgefahren werden. Die Frage aber, warum immer wieder mal der Satz "Ich liebe Hitler" von Studenten kommt, die auf keinen Fall dümmer als ihre Kommilitonen sind und auch keiner rechtsextremen Organisation angehören, diese Frage können wir uns dann mit Hilfe unserer Exotismuskonstruktionen beantworten, "der Charakter der Japaner ist schwer ergründbar" und damit zufrieden weiterschlafen.
Durch diese Tabuisierung der gemeinsamsten Geschichte sind auch immer wieder alle Tore und Türen für gegenseitige Defizit- bzw., Schuldzuweisungen offen. Die Japaner verdrängen ihre Vergangenheit, die Deutschen haben sie bereits verdrängt, pardon bewältigt. Auf dieser Opposition aufbauend, gehen oft Gespräche wunderbar aneinander vorbei. Im Bereich der Forschung führt dies dann logischerweise dazu, daß jeweils der Bereich des "Anderen" untersucht werden kann, ohne auf die eigenen Realitäten Rücksicht nehmen zu müssen. Zu oft wird dann der Begriff der "Interkulturalität" benutzt. Die kontrastive Analyse wurde bislang nur in der Linguistik angewandt (s. z.B. KOLLER), überall dort jedoch, wo historische, gesellschaftliche, politische, im weitesten Sinne also kulturelle Themen bearbeitet werden, bleibt der Blick unverwandt auf das Objekt gerichtet. Das forschende Subjekt scheint sich aufzulösen, bzw. inexistent zu sein.
Dabei gilt die Forderung nach umfassenderen, d.h. "interkulturellen" Verfahren schon lange. Das folgende Herder-Zitat mag zwar heute ein wenig verstaubt und gar zu lieblich anmuten, gegen die prinzipielle These ist aber wenig einzuwenden.
Warum kann ich noch kein Werk nennen, das den Wunsch Baco´s, Leibnitz, Sulzers u.a. nach einer allgemeinen Physiognomik der Völker aus ihren Sprachen nur einigermaassen erfüllet habe? Zahlreiche Beiträge zu demselben giebts in den Sprachbüchern und Reisebeschreibern einzelner Nationen: unendlich = schwer und weitläufig dörfte die Arbeit auch nicht werden, wenn man das Nutzlose vorbeiginge und was sich ans Licht stellen läßt, desto besser gebrauchte. An lehrreicher Anmuth würde es keinen Schritt fehlen, weil alle Eigenheiten der Völker in ihrem praktischen Verstande, in ihren Phantasien, Sitten und Lebensweisen, wie ein Garte des Menschengeschlechts dem Beobachter zum mannigfaltigsten Gebrauch vorlägen. und am Ende sich die reichste Architektonik menschlicher Begriffe, die beste Logik und Metaphysik des gesunden Verstandes daraus ergäbe. Der Kranz ist noch nicht aufgesteckt und ein anderer Leibnitz wird ihn zu seiner Zeit finden. (HERDER S.364-365.)
Noch ist dieser Kranz leider noch immer keinem aufgesteckt worden. Mehr als kurzfristige Modeerscheinungen hat es im Fremdsprachenunterricht nicht gegeben. Das Sprachlabor ist passé, die Internetmania wird in nächster Zeit den Kauf von teuren Computer-Großanlagen für die Klassenzimmer fördern, die Arbeit für Lehrer und Lerner wird sich jedoch nicht wesentlich verändern. Das, was heute als "Interkulturelle Germanistik" verkauft wird, war zwar wichtig dafür, in den akademischen Betrieb etwas frische Luft und Bewegung zu bringen, fachlich jedoch läßt sich damit wohl nicht viel länger arbeiten. Würden sich alle Philologien das Prädikat "interkulturell" voranstellen, würde der Begriff selbst sofort ad absurdum geführt werden. Wie kann denn "Kultur", also auch Philologie, auch Sprachunterricht, anders als "inter"-kulturell, als Austausch und Kreativität, als Begegnung und Konflikt zwischen Individuen, Organisationen, Gesellschaften oder Staaten verstanden werden?
Nehmen wir unsere Aufgabe ernst, versuchen wir uns selbst und unsere Studenten in all den Verflechtungen, Konditionierungen und Engpässen zu begreifen, und wollen wir auch nur einen einzigen kleinen Schritt in irgendeine Richtung tun, können wir gar nicht anders als "interkulturell" handeln.
IV. Professor, Gastdozent, Lektor = Deutschlehrer
Ein Großteil der derzeit rund 180 muttersprachlichen Lehrer im japanischen Hochschulbetrieb unterrichten Studenten im ersten und zweiten Studienjahr. In der Regel eine Doppelstunde pro Woche. Das sehr grob definierte Unterrichtsziel heißt: Konversationsunterricht.
Die Fluktuation der muttersprachlichen Arbeitskräfte ist relativ groß, so daß wir innerhalb des Betriebes oft funktionieren wie ein Jolly Joker: Seht da, wir haben einen Muttersprachler. Nicht die Person, besser die Persönlichkeit, ist wichtig, sondern die Eigenschaft "Muttersprachler". Wir sind ersetzbar. Jederzeit. Wen dies aber wundern sollte, der braucht sich nur an die ausländischen Lektoren an der eigenen Universität erinnern. Funktionslos für die Organisationsbürokratie, wichtig aber/nur im Klassenraum, als "lebendes" Sprachorgan, als biedere, aber auch immer wieder unterschiedliche Inkarnation der komplizierten Grammatik. Dies alles sind keine japanspezifischen Gegebenheiten für einen Sprachlehrer.
Spezifisch jedoch scheinen mir folgende zwei Faktoren: 1) Fremdsprachen wurden/werden bisher hauptsächlich zu dem Zweck gelehrt, um "fremdes" Wissen im Original lesen zu können. 2) Nach fünf Jahren (Pflicht-)Englisch an der Oberschule ist (noch immer) nur ein verschwindender Prozentsatz in der Lage, auf die einfachsten Fragen auf Englisch zu antworten oder gar selbst eine Frage zu formulieren.
Wie aber soll auf diesem Hintergrund ein kommunikativer Unterricht funktionieren? Und welchen Zweck sollte er erfüllen? Kurz gefragt: Wozu braucht es denn eigentlich uns? Das eine, das Negative, ist eine Modeerscheinung. Es muß alles international und interkulturell sein, ein paar Farbflecken im Bildungsgrau also. Das andere, das Positive, hat eine lange Tradition und ist das, worauf sich unsere Tätigkeit stützt und wodurch sie einen Sinn bekommt. In diesem Sinne läßt sich durchaus auch im Sprachunterricht "historisch" arbeiten, d.h. man kann als Sprachvermittler bereits im Anfängerkurs auf einen, zugegebenermaßen sehr kleinen, deutschen Wortschatz im Japanischen zurückgreifen. "Hütte", "Gelände", "Spur", "Wandervogel" usw. können als erste Kommunikationselemente eingesetzt werden, falls man nicht doch der Einfachheit lieber ausschließlich auf Englisch, das dann aber viele wiederum auch nicht verstehen, oder auf sein eigenes, in der Regel dürftiges Japanisch, zurückgreift. Wären Formen wie team teaching oder auch nur in unserem deutschen Verständnis von "Curricula" aufeinander abgestimmte Lehrmethoden organisatorisch und finanziell durchführbar, ließen sich eine ganze Menge von Leerläufen vermeiden. So aber muß man sich mit Unterrichtsgegebenheiten auseinandersetzten, die in der Theorie der Fremdsprachendidaktik als absolut zu vermeidende deklariert sind: (meist) Klassengrößen mit 30 und (weit) mehr Studenten, Lehrzimmer mit angeschraubten Bänken und Stühlen, wodurch jede Möglichkeit von Gesprächsübungen der Studenten untereinander unmöglich ist usw.
Wie arbeiten wir also? Hier beginnt das, was ich mit kreativer Nichtbeachtung aller fremdsprachdidaktischer Normen und japanspezifischer (selbstfabrizierter) Klischees bezeichnen möchte. Hier beginnt es für den Sprachlehrer interessant zu werden. Vorausgesetzt, man ist bereit, gewaltige Wechselbäder sowohl im Lehrerfolg als auch im Emotionshaushalt in Kauf zu nehmen. Wie dieses individuelle, fast anarchische Suchen nach einer geeigneten Methode und die ständige Revision und Neuformulierung derselben im Einzelnen aussehen, kann hier nicht beantwortet werden. Sie sind zum einen so verschieden, wie die Charaktere der Lehrer verschieden sind und zum anderen so gleich, wie sich alle Deutschen bzw. Japaner ähnlich sind.
"Sie können machen, was Sie wollen", in dieser uns so oft angebotenen (Lehr-)Freiheit liegt das Spannende an der Arbeit. In ihr liegt aber auch der Grund dafür, daß man sich schnell darin hoffnungslos verlieren kann. Das japanische Modell für den Unterricht der zweiten Fremdsprache ist relativ einfach: Im ersten Studienjahr wird die Grammatik gelehrt (immer bis zum Konjunktiv II, also "äße", "böte", "stürbe" usw.), im zweiten Studienjahr werden Originaltexte gelesen und übersetzt (von Hegel bis Habermas, von Kleist bis Grass). In diesem Spektrum gibt es für den Konversationsunterricht im Grunde keinen Raum. In der Theorie sollten die muttersprachlichen Lehrkräfte einen Rahmen schaffen, das im Grammatikunterricht Erlernte auch praktisch anwenden zu können. Da aber die Progression von passivem Sprachverständnis und aktiver Sprechfähigkeit völlig divergieren, gibt es spätestens im zweiten Studienjahr die etwas paradox anmutende Situation, daß die Studenten höchst komplexe Texte lesen und übersetzten, aber in den einfachsten Gesprächssituationen sich nicht artikulieren können.
So war es bisher, und so ist es auch in fast allen Erfahrungsberichten von deutschsprachigen Lehrern nach dem 2. Weltkrieg in Japan zu lesen. Seit einiger Zeit jedoch beginnt sich die Situation langsam aber stetig zu ändern. Ein Grund dafür mag wohl sein, daß der bisherige kanonisierte Lehrstoff den Studenten allzu verstaubt und trocken erscheinen muß und in fast keiner Relation mehr mit den eigenen Bedürfnissen nach Wissen und Erkenntnis steht. Ein weiterer mag darin zu sehen sein, daß der Wunsch nach Sprechkompetenz automatisch mit der Reiselust der japanischen Gesellschaft zugenommen hat. Einen dritten Grund, und dies wird langfristig wohl der wichtigste sein, kann man in der digitalen Vernetzung finden, die 1. eine aktive (schriftliche) Beherrschung des Englischen erfordert und 2. daran anschließend all jene von schnellen, d.h. aktuellen, d.h. "vermarktbaren" Informationen ausschaltet, die sich nur mit der x-ten Übersetzung eines Klassikers beschäftigen. Wer über Internet nach Deutschland surft, braucht sehr bald auch ein sprachliches Handwerk, das es ihm ermöglicht auf die digitale Welt zugreifen und in sie eingreifen zu können.
Englisch wird dabei zwar die alleinige weltweite Informationssprache bleiben, um zu aber genaueren Fakten, schnelleren Querverbindungen und längerfristigen Projekten gelangen zu können, werden die diversen Landessprachen weiterhin unersetzbar bleiben.
Der universitäre Deutschunterricht in Japan steht vor einer Krise. Die Studienreform wird die Zahl der Deutschstudenten drastisch reduzieren; denn künftig werden die Untergraduierten nicht mehr gehalten sein, eine zweite Fremdsprache zu belegen, die in der Vergangenheit so oft das Deutsche war. (DIECKMANN S.18)
Die hier angesprochene Reform an Japans Universitäten hat in der Tat einiges in Bewegung gebracht. Nach den bisherigen Erfahrungen kann jedoch von einer Krise für den Deutschunterricht nicht die Rede sein. Im Gegenteil. Engpässe gibt es zwar sehr wohl, und im Einzelfall durchaus existenzgefährdende, in organisatorischer Hinsicht, die Stellen für Germanisten bzw. Wissenschaftler mit einem Forschungsschwerpunkt Deutsch (Historiker, Philosophen, Politologen usw.) wurden und werden reduziert, es ist in der Tat auch anzunehmen, daß weit weniger Studenten Deutsch als zweite Fremdsprache wählen, als dies bisher der Fall war, wenn auch dafür noch keine Zahlen bekannt sind.
Auf der anderen Seite aber ist jetzt, da Deutsch "nur" mehr als Wahlpflichtfach zu belegen ist, die Motivation der Studenten um einiges größer, die Klassen kleiner, das Lernziel "sprechen" genauer definiert worden. Da zunehmend auch immer mehr Studenten nach den vorgeschriebenen vier Studienjahren nicht mehr bereit sind, sofort in eine Firma einzutreten und damit den bisher üblichen, vorgegebenen Weg des traditionellen japanischen Bildungssystem zu beschreiten, da immer mehr junge Frauen sich gegen ihre Rolle wehren, vier Jahre Uni, vier Jahre Tee servieren in der Firma und dann heiraten und Kindersegen, indem sie ihr Studium verlängern und auch in die Magister- und Doktorkurse drängen, da insgesamt also zu beobachten ist, daß es immer mehr Fachstudenten gibt und diese Tendenz durch die Reform auch unterstützt wird, kann man davon ausgehen, daß es in den nächsten Jahren zwar vielleicht insgesamt weniger Deutsch(als zweite Fremdsprache)-Studenten aber mehr Fachstudenten, also ausgebildete Germanisten, Historiker, Philosophen geben wird.
Diesem Trend zuwider läuft die Sparpolitik der Bundesrepublik. Kürzungen in den Etats der Goethe-Institute, die Reduzierung von Stipendien bei DAAD und Humboldt-Stiftung tragen nicht gerade dazu bei, die in der jetzigen Situation nötige Rückendeckung für die japanische Germanistik (German Studies) zu gewährleisten. So wird das, was auf der einen Seite von einem interkulturellen Anspruch gefordert wird, auf der anderen Seite vom bürokratischen Rotstift wieder ausgelöscht. Die Orientierung allein auf die Entwicklungen in den deutschsprachigen Ländern hin wird einer Orientierung und Kontaktaufnahme zu anderen, zunächst hauptsächlich ostasiatischen Germanisten- und Deutschlehrerverbänden weichen. Die ersten diesbezüglichen Schritte sind bereits getan, die Kontakte zwischen chinesischen, koreanischen und japanischen Wissenschaftlern intensiviert worden.
Österreich braucht hier nicht berücksichtigt werden, da bisher ja fast nichts in die Auslandskulturpolitik investiert wurde. Mit Japan hätte sich der Kulturaustausch aufs Erfreulichste entwickelt. Nur 0,4 % aller diesbezüglichen Veranstaltungen würden von Österreich finanziert, so der ehemalige Außenminister A. Mock noch 1992 . "Alles andere finanzieren die Japaner selbst". ( DIE PRESSE 24. 06. 1992)
Zusammenfassend läßt sich folgendes sagen: Die jüngsten Entwicklungen des japanischen Hochschulsystems werden zwar voraussichtlich zu einer Reduktion der Studentenzahlen führen. Dieselben Entwicklungen begünstigen aber auch eine intensivere Sprach- und Kulturvermittlung für all jene Studenten, die sich freiwillig, d.h. ohne curriculare Zwangsverpflichtung, mit dem Thema "Deutsch" beschäftigen wollen. Und die Zahl dieser Studenten ist im Steigen.
Schließlich sollten wir Muttersprachler es uns abgewöhnen, die Bemühungen der japanischen Germanisten, aber auch aller anderen nicht-muttersprachlichen, mit einem müden Lächeln zu quittieren. Abgesehen davon, daß in den letzten Jahrzehnten die meisten wesentlichen Impulse für das Fach aus dem Ausland gekommen sind, sollte nicht vergessen werden, mit welchen Schwierigkeiten sich hier Japanologie-Studenten aus Deutschland/Österreich herumschlagen müssen, die nach zwei, drei Jahren intensivstem Studium dann das erste Mal im Land ihres Studiengegenstandes ankommen, und sich eingestehen müssen, daß für die sprachliche Bewältigung des Alltags fast alle Voraussetzungen fehlen. Aus diesen Frustrationen kann Motivation erzeugt werden, falls der Wille vorhanden ist, Defizite nicht als Makel sondern als Ergebnis einer gewaltigen Anstrengung, d.h. als Ausgangsbasis für künftige Fortschritte zu akzeptieren.
In: ÖDaF-Mitteilungen. Informationen des Vereines Österreichischer Lehrerverband: Deutsch als Fremdsprache. Wien, 12. Jg, Heft 2, November 1996, S. 26-34.
Literaturverzeichnis:
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Die Bibel.Vollständige Ausgabe des Alten und des Neuen Testaments in der Einheitsübersetzung. (Hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands ...) Stuttgart (1990): Katholische Bibelanstalt.
DIECKMANN, Heinrich-Dietrich (1995): Was ist und wem nützt die auswärtige Kulturpolitik. Tokyo: Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens.
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KOLLER, Erwin (1990): Deutsche und andere Urteile über die Fremdsprache Japanisch. In: JTLA Journal of the Faculty of Letters. Aesthetics. Vol. 15. Tokyo: The University of Tokyo, 101-117.
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WLCZEK, Hermann (Hg.) (1995): Österreichisches Jahrbuch 1994. Wien: Verlag Österreich.
[1] Begonnen hat diese bis heute noch andauernde Diskussion mit dem Aufsatz "Zur Situation des Deutschunterrichts in Japan" von KUTSUWADA, MISHIMA und UEDA, der 1986 erschien.
[2] BAUER kommt auf 750.000, STUCKENSCHMIDT auf 500.000, YAMAJI auf 400.000 bis 500.000.
[3] In den letzten Jahren ist der Begriff "Österreichisches Deutsch" durchaus - in Österreich - salonfähig geworden, was sich anhand einer ganzen Reihe von wissenschaftlichen Publikationen, Essays, Werbekampagnen usw. ablesen läßt. Allerdings scheint mir dieses Unterfangen langfristig eher zum Scheitern verurteilt zu sein, weil es notgedrungen an den selbst gestellten Schranken und Grenzen sich bald im Kreis drehen wird. Überdies ist der Begriff auch terminologisch problematisch, gibt er doch etwas Einheitliches vor, das sich in der Praxis kaum finden läßt: zwischen Vorarlberg und dem Burgenland gibt es auf der Sprachebene derart große Differenzen, daß sich daraus nur schlecht eine fürs nationale Selbstwertgefühl sicher wohltuende einheitliche Sprache eruieren ließe, außer eben die Deutsche.
[4] Für ausführlichere Informationen zum Thema sei auf folgende Arbeiten verwiesen: ALLGEMEINER DEUTSCHER SCHULVEREIN, AMONN, BAUER, DAAD, KIMURA, KOSHINA.